Nahles-Kritiker Marco Bülow verlässt SPD Irgendwo zwischen Querdenker und Selbstdarsteller

Berlin · Er war immer ein Gegner der großen Koalition, kritisierte die Parteiführung und sieht die Sozialdemokraten auf dem falschen Weg. Jetzt ist der Dortmunder Abgeordnete Marco Bülow aus der SPD ausgetreten. Ein Porträt.

 Der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow gab am Dienstag auf einer Pressekonferenz seinen Austritt aus der Partei bekannt.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow gab am Dienstag auf einer Pressekonferenz seinen Austritt aus der Partei bekannt.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

In der SPD-Bundestagsfraktion werden ihn wohl nur die wenigsten Abgeordneten vermissen. Marco Bülow ist dort nicht sonderlich beliebt. Ein gängiger Vorwurf an ihn lautet: Wenn Du uns schon die ganze Zeit kritisierst, dann nimm wenigstens an den Sitzungen teil und rede direkt mit uns. Das habe der 47-Jährige vernachlässigt, heißt es aus dem Kreis der Fraktion. Tatsächlich fiel der Dortmunder Abgeordnete, der seinen Wahlkreis bei der vergangenen Bundestagswahl mit einem Direktmandat holte, vor allem mit Kritik am Kurs der SPD und der großen Koalition auf.

Jetzt ist er nach 26 Jahren aus der SPD ausgetreten, 16 Jahre lang saß er im Bundestag – und will das auch weiterhin tun, nur eben ohne Fraktionszugehörigkeit. Das stößt bei einigen Genossen auf Kopfschütteln. Generalsekretär Lars Klingbeil und NRW-Landesgruppenchef Achim Post riefen ihn auf, sein Mandat niederzulegen. Gerüchte, wonach die Linksfraktion ihn gerne aufnehmen will, bestätigten sich zunächst nicht. Dabei gehört er zu den Mitunterzeichnern der „Aufstehen“-Bewegung, an deren Spitze Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine stehen.

Bülow hat eine ansehnliche Karriere hinter sich. Als Dortmunder kam er in einer der wichtigsten SPD-Herzkammern zur Welt. In den 1970er Jahren gab es dort gut 25.000 Parteimitglieder, mehr als mancher Landesverband im Osten der Republik zusammenbekommt. Die Maloche war das Schmierfett der Gesellschaft, sie gewährleistete den reibungslosen Betrieb, hielt zusammen. Heute sieht es in Dortmund anders aus. Bülow bekam den teils schwierigen Strukturwandel hautnah mit. Er machte Abitur an einer Gesamtschule und studierte danach Journalistik, Geschichte und Politikwissenschaft, ebenfalls in Dortmund. Einen Abschluss erreichte er nicht. Als Beruf gibt er Publizist an. Seine politische Laufbahn begann – klassisch für einen Sozialdemokraten – bei den Jusos, zeitweise war Bülow deren Vorsitzender in seiner Heimatstadt. 1996 schaffte er den Sprung in den SPD-Vorstand Dortmunds. Nachdem er 2002 das erste Mal in den Bundestag gewählt wurde, spezialisierte er sich dort im Bereich der Umwelt- und Energiepolitik. Nach der Wahl 2017 bekam er einen Sitz im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Bülow war seit Jahren einer der Rebellen in der SPD-Fraktion, stimmte immer wieder gegen die Fraktionslinie. In seinem Buch „Wir Abnicker“ kritisierte er 2010 den Parlamentsbetrieb – und stellte sich dennoch wieder zur Wahl. Als Mitglied der Parteilinken war er stets gegen die große Koalition, befürwortete ein Bündnis mit Linken und Grünen. Bülow wurde von einigen Sozialdemokraten als Querdenker gefeiert, andere sahen in ihm einen Selbstdarsteller. Er warf der SPD vor, sich mit dem Neoliberalismus arrangiert zu haben. Doch früher sei in der Partei wenigstens noch über gegensätzliche Positionen diskutiert worden. „Diese Vielfalt gibt es nicht mehr.“ Die SPD sei zu einem stromlinienförmigen „Karriereverein“ verkommen, Kritiker des aktuellen Kurses würden kaltgestellt. Als nach den desaströsen Landtagswahl-Ergebnissen in Bayern und Hessen keine Reaktion kam – weder von der Parteispitze noch von der Basis – habe er die letzte Hoffnung verloren.

Jetzt sagte der geschiedene Vater einer Tochter: „Die Sehnsucht nach einer klaren, sozialen Alternative ist groß, aber die SPD steht leider nicht mehr dafür.“ Zudem sei die zugesagte Erneuerung der Partei in der großen Koalition zu einem „absoluten Lippenbekenntnis“ verkommen. Bülow ist einer der schärfsten Kritiker von Parteichefin Andrea Nahles. Er wollte sie gemeinsam mit der Flensburger Bürgermeisterin Simone Lange und anderen Genossen stürzen und eine Urwahl der oder des Parteivorsitzenden initiieren. Doch daraus wurde nichts. „Ich war und ich bin und ich bleibe engagierter Sozialdemokrat – wenn auch jetzt außerhalb der SPD“, versicherte Bülow am Dienstag. Partei und Fraktion werden ihn im Blick behalten.

(jd)
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