Renten-Reform in Frankreich Pulverfass Sozialreformen
Meinung · In Frankreich tobt seit Wochen der Kampf um ein höheres Renteneintrittsalter, das Land steht an manchen Tagen aufgrund der Pläne von Präsident Emmanuel Macron still. Doch was, wenn das Nachbarland einfach einen Kampf um Reformen vorzieht, der Deutschland noch bevorsteht?
In Frankreich schlagen am Donnerstag erneut die Wellen hoch: Generalstreik im Land, aus Protest gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron gehen die Menschen auf die Straße. In Paris steigt man seit Wochen über meterhohe Müllberge, die Müllabfuhr hat das Arbeiten eingestellt, die Pariser Gastronomen bezahlen die Müllabfuhr jetzt aus privater Tasche. Dass der Präsident die Reform im Parlament durchgeboxt hat, ohne eine parlamentarische Mehrheit zu organisieren, kommt ebenfalls nicht gut an. Viele nehmen Macron mittlerweile als autoritär und abgehoben wahr. Ein Land in Aufruhr.
In Deutschland schüttelt man den Kopf über die Franzosen, die sich über ein Renteneintrittsalter von 64 Jahren so echauffieren. Doch gerade die deutsche Politik sollte sich sehr genau anschauen, was die Franzosen gerade umtreibt, und wie die Politik damit umgeht. Macron setzt die Reform, von deren Notwendigkeit er überzeugt ist, rigoros um. Er tut das auch deshalb, weil er 2027 nicht mehr antreten kann. Er muss zwar noch vier Jahre überstehen, aber um eine Wiederwahl geht es ihm nicht mehr. Kann man nur dann unbequeme Wahrheiten unters Volk bringen?
Hierzulande verkündete Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gerade die Erhöhung der Renten. Der SPD-Politiker konnte auch die Angleichung der Renten in Ost und West für dieses Jahr verkünden.
Was dabei gerne verschwiegen wird: die Bundeszuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen immer weiter, dieses Jahr auf eine Summe von rund 112 Milliarden Euro. Dass der Steuerzahler auch in die Pflicht genommen wird, ist politisch gewollt. Die Rente mit 63, die Witwenrente und die so genannte Mütterrente etwa werden so finanziert. Man kann leicht ausrechnen, dass aufgrund des demografischen Wandels die Kosten immer weiter steigen werden. Und so wird auch in Deutschland die Frage aufkommen: Wer soll das bezahlen?
Entweder müssen frühere Renten abgeschafft, dazu auch noch höhere Beiträge gezahlt werden. Oder man muss sich darauf vorbereiten, dass in spätestens 25 Jahren jeder zweite Steuer-Euro ins Rentensystem gehen müsste. Oder man erhöht das Renteneintrittsalter. Doch die „Rente mit 70“ ist in Deutschland ähnlich populär wie die Rente mit 64 in Frankreich: Gar nicht.
Aber auch Deutschland wird nicht umhinkommen, sich mit einer grundlegenden Umgestaltung der Sozialsysteme zu befassen. Derzeit werden Lücken in den Kassen noch mit Beitragserhöhungen etwa in der Kranken-und Pflegeversicherung organisiert, oder es wird eben in den Steuertopf gegriffen. Eine wirkliche Reform - davor schrecken alle amtierenden Politiker, die noch etwas vor sich haben, zurück. Beim damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder wurde die Not zum Reform-Motor, unter anderem die hohe Arbeitslosenzahl trieb den SPD-Kanzler dazu, Sozialreformen nicht nur anzustreben, sondern sie umzusetzen. Diese Ära ist jedoch vorbei. Zur Zeit zerlegt sich eine rot-grün-gelbe Regierung in Diskussionen über Heizungen, Kindergrundsicherung, Investitionen in Autobahnen. Ein Blick ins Nachbarland zeigt: Die großen Probleme kommen erst noch.