Wahl des Fraktionschefs der Union Auf Kauder zielen, Merkel treffen

Berlin · Die Wahl des Fraktionschefs der Union wird zur Machtprobe zwischen Merkel-Lager und den Verfechtern einer schnellen Erneuerung der Union. An der Wahl hängst auch Merkels Zukunft.

Das gab’s noch nie in der Unionsfraktion: Für die Wahl des Vorsitzenden werden acht Kabinen aufgestellt, damit die Entscheidung der Abgeordneten wirklich geheim bleibt. Bei der Wahl zum Fraktionschef am Dienstagnachmittag geht es um viel für die Union. Manche sagen sogar, es gehe um alles.

Sonst war die Wahl des Fraktionsvorsitzenden immer Routine bei CDU/CSU. Die Satzung schreibt vor, dass ein Jahr nach einer Bundestagswahl der Fraktionschef noch einmal gewählt werden muss - dann bis zum Ende der Wahlperiode. Seit Kanzlerin Angela Merkel regiert, macht Volker Kauder den Job des Fraktionschefs. Sie will, sie besteht darauf, dass die Position auch weiter einnimmt. Bislang folgten die Abgeordneten immer ihrem Wunsch. Kauders Wahl war Routine.

Nun ist alles ungewiss. Mit Fraktionsvize Ralph Brinkhaus hat Kauder erstmals einen Gegenkandidaten. Der Mann ist kein Zählkandidat. Er lieferte eine beeindruckende Vorstellung in der Fraktion ab. Und viele Abgeordnete sehnen sich in der wohl letzten Amtszeit Merkels nach einem Signal der Erneuerung, nach Aufbruch. Es ist mehr als ein Hauch von Rebellion, der über der sonst als Kanzlerwahlverein verspotteten Union liegt.

Erfahrene Abgeordnete unterscheiden zwischen Kopf- und Bauchgefühl: Der Bauch verlange nach einem Zeichen der Erneuerung, der Kopf sage, eine Abwahl von Kauder werde Merkel schwächen und die Koalition destabilisieren - gar das Ende der Ära Merkel einleiten. Vor allem jüngere Abgeordnete können sich einen Wechsel an der Fraktionsspitze sehr gut vorstellen. Deshalb hat sich die Stimmung in den letzten Wochen auch gedreht. Sah es Anfang September noch nach einer 70:30 oder gar 80:20-Entscheidung zugunsten des Amtsinhabers aus, sagen jetzt gut vernetzte Unionsabgeordnete: „Das wird kein Selbstläufer für Volker Kauder.“ Zumal es quasi zur Jobbeschreibung eines Fraktionschefs gehört, dass er keine Scheu hat, sich auch unbeliebt zu machen. Kauder musste in den 13 Jahren mit Merkel etliche umstrittene Entscheidung durchdrücken. Samthandschuhe hat er dafür nie angezogen.

Nun der Herausforderer: Brinkhaus tritt nicht so polternd auf wie Kauder. In der Fraktion genießt er Ansehen. Bei der Wahl zum Vize-Chef erhielt er 99 Prozent der Stimmen. Kauder als Fraktionschef bekam am gleichen Tag nur 77 Prozent. Brinkhaus’ Anhänger freuen sich, dass er bei der Vorstellung in der letzten Sitzungswoche punkten konnte, indem er sich nicht gegen Kauder persönlich stellte, jedoch klar umrissen habe, was die Unionsabgeordneten seit langem vermissen. Zum Beispiel: ernst genommen zu werden. Das Lavieren der Bundesregierung im Fall Maaßen hat viele darin bestärkt, dass die derzeitigen Führungspersonen an der Spitze von Regierung und Fraktion die Fäden nicht mehr in der Hand haben.

Viele sind auch am Tag vor der entscheidenden Abstimmung noch unentschlossen, ist zu hören. Sie hätten sich gewünscht, dass Merkel selbst einen Vorschlag zur Erneuerung gemacht und sich so neuen Rückhalt geschaffen hätte. Es gibt auch solche, die ohne eine Kandidatur von Brinkhaus gegen Kauder gestimmt hätten, nun aber für den langjährigen Fraktionschef votieren werden, weil sie nicht klar sehen, wer hinter Brinkhaus steht. Sie fragen sich zum Beispiel, ob sie damit eine Personalie für die nächsten sechs bis acht Jahre festzurren und zugleich den Brinkhaus-Vertrauten Gesundheitsminister Jens Spahn indirekt auf die Spur bringen.

Als tief gespalten gilt die NRW-Landesgruppe, aus der Brinkhaus stammt. Hinter verschlossenen Türen warnt Landesgruppenchef Günther Krings vor den Folgen einer Wahl Brinkhaus. Nicht wenige in der NRW-Landesgruppe fürchten, Merkel könne durch eine Niederlage Kauders so beschädigt sein, dass sie sich nicht mehr bis zum Ende der Wahlperiode im Amt halten kann. In der NRW-Fraktion sitzen zugleich viele Kauder-Kritiker, die zugleich auf Distanz zur Kanzlerin sind: der Außenexperte Norbert Röttgen gehört dazu, ebenso der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann. Der aus NRW stammende JU-Chef Paul Ziemiak hat oft genug bei den jungen Leuten und den Fraktionsneulingen um Aufbruch geworben. Ein klares Bekenntnis für den einen oder anderen Kandidaten legt allerdings am Tag vor der Wahl niemand ab.

Auch die CSU-Landesgruppe ist undurchschaubar. Dabei haben sowohl Parteichef Horst Seehofer als auch Alexander Dobrindt bei einer Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten keinen Zweifel an ihrer Unterstützung für Kauder aufkommen lassen. Der geringe Rückhalt aus der Fraktionsführung für Seehofer in den Auseinandersetzungen mit Merkel hat jedoch bei manchem Christsozialen Zweifel hinterlassen. Allerdings weiß auch ein Christsozialer nach der Anreise aus dem Wahlkreis: „Die Sehnsucht nach Chaos hat in den letzten Tagen dramatisch abgenommen.“

Per Akklamation hat sich die Landesgruppe Baden-Württemberg hinter ihr Mitglied Volker Kauder gestellt. Doch wagen Insider die Prognose, dass das Bestehen auf acht Wahlkabinen auf einen möglichen Unterschied zwischen öffentlichem Bekenntnis und persönlicher Entscheidung hindeutet. Offenbar soll nicht einmal der Sitznachbar ahnen, wo man sein Kreuz tatsächlich macht.

Kauder-Befürworter wedeln derzeit intensiv mit Posten und Ämtern, die die Wortführer in der Fraktion Kauder zu verdanken hätten. Und sie weisen darauf hin, dass die Kanzlerin sowohl im Kabinett als auch beim Posten der CDU-Generalsekretärin bereits deutliche Signale der Erneuerung gesetzt habe und es angesichts der besonders wackligen Situation in der Koalition an der Fraktionsspitze auf größtmögliche Erfahrung ankomme.

In der rheinland-pfälzischen CDU-Landesgruppe meldeten sich dem Vernehmen nach beim Thema „Fraktionsvorsitz“ vor allem Kauder-Unterstützer zu Wort. Wie groß gleichwohl der Anteil derer sein wird, die für Brinkhaus stimmen, blieb dabei offen. Aus der thüringischen Landesgruppe heißt es, es gebe eine klare Tendenz für Brinkhaus. Allerdings wies Landesgruppenchef Manfred Grund darauf hin, dass es keine Probeabstimmung gegeben habe, es daher kein klares Bild gebe.

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