Corona-Beratungen im Kanzleramt Das sagen Kommunen, Ärzte und Bildungsexperten zum verschärften Lockdown

Berlin · Verschärfte Kontaktbeschränkungen, geschlossene Schulen, Bewegungseinschränkungen in Hot-Spots: Kanzlerin Merkel spricht von „verschärften Maßnahmen“. Kommunen und Ärzte begrüßen die Beschlüsse. Bildungsexperten bleiben skeptisch.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Pressekonferenz nach den Beratungen von Bund und Ländern. Foto: Michael Kappeler/dpa-pool/dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Pressekonferenz nach den Beratungen von Bund und Ländern. Foto: Michael Kappeler/dpa-pool/dpa

Foto: dpa/Michael Kappeler

Bund und Länder haben sich zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie auf weitere Kontakt-Einschränkungen und eine Verlängerung des Lockdowns verständigt.  Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund begrüßte den Beschluss am Abend. „Ohne die Kontakt- und Aktivitätsbeschränkungen der vergangenen Wochen wäre unser Gesundheitswesen kollabiert. Man muss sich nur die Bettenbelegung auf den Intensivstationen anschauen, um das Ausmaß der Belastung zu erfassen, das inzwischen erreicht ist“, sagte die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, unserer Redaktion.

Ärzte und Pflegende hätten in den vergangenen 12 Tagen knapp 8000 schwerkranke Covid-19-Patienten in den Kliniken behandelt und dazu noch 15.000 weitere Intensivpatienten mit anderen Erkrankungen, betonte die Medizinerin. „Das Klinikpersonal ist seit Wochen im absoluten Dauerstress, es häufen sich die krankheitsbedingten Ausfälle. Eine Lockerung von Kontaktbeschränkungen würde zu dieser Jahreszeit zwangsläufig zu noch stärker steigenden Infektionszahlen führen und die medizinische Versorgung insgesamt gefährden. Das dürfen wir nicht zulassen“, betonte Johna.

Der Deutsche Städte-und Gemeindebund begrüßte die Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen ebenfalls, zweifelt aber an der Umsetzbarkeit der 15-Kilometer-Regelung. „Das ist für die Menschen und die Wirtschaft zwar hart, aber im Hinblick auf die nach wie vor viel zu hohen Infektionszahlen und die starke Beanspruchung des Gesundheitswesens leider unvermeidbar“, sagte der Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg unserer Redaktion. Fraglich sei, „wie der Beschluss, dass sich Menschen in besonderen Risikogebieten nur noch in einem Radius von 15 Kilometer von seinem Wohnsitz bewegen dürfen, in der Praxis umgesetzt werden kann. Klar ist, dass in Gebieten mit sehr hohen Inzidenzen zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Ein solch eingeschränkter Bewegungsradius ist allerdings kaum kontrollierbar und es ist fraglich, ob er letztlich durch die vielen Ausnahmen (zum Beispiel Pendeln zur Arbeit) Wirkung entfalten wird“, sagte Landsberg weiter.  

Es sei abzuwägen, ob in einzelnen Gebieten, Städten oder Kreisen, in denen exorbitant hohe Inzidenzzahlen vorlägen, solche zusätzlichen Einschränkungen vorgesehen werden sollten. „Klar bleibt allerdings auch hier, dass es die Mitwirkung aller Bürgerinnen und Bürger braucht, um das Infektionsgeschehen einzudämmen und die nächsten, schweren Monate gut zu überstehen.  Dazu zählt beispielsweise auch der Verzicht auf tagestouristische Ausflüge“, betonte Landsberg.

Der Deutsche Städtetag hält die Fortsetzung des Lockdowns und auch die Schulschließungen zur Verhinderung von Neuinfektionen ebenfalls für notwendig. „Bei den Kontaktbeschränkungen darf es keine Tabus geben. In der aktuellen Ausnahmesituation sollten auch an Schulen und Kitas die Kontakte so gering wie möglich gehalten werden. Die Länder fordern wir auf, verbindliche Regelungen für die Notbetreuung zu erlassen“, sagte Städtetagspräsident Burkhard Jung. „Es sind nicht kalte Temperaturen, die diesen Winter hart machen, sondern das Virus. Die Maßnahmen des Lockdowns sollten so lange nicht gelockert werden, bis ein stabiler Abwärtstrend der Neuinfektionen in ganz Deutschland erkennbar ist.“

 Jung forderte von der nächsten MPK am 25. Januar aber auch eine klare Perspektive für das Land. „Dazu muss es von Bund und Ländern bei ihrem nächsten Treffen klare Signale geben. Die Impfungen machen Hoffnung. Doch das allein wird nicht reichen. Wenn die Menschen bei den Beschränkungen jetzt weiter mitmachen, setzen sie natürlich auch auf Lockerungen, sobald sich die Lage deutlich verbessert.“

Schulen und Kitas bleiben dem Beschluss zufolge bis zum 31. Januar ebenfalls zu. „Geschlossene Schulen, ausgesetzte Präsenzpflicht beziehungsweise Distanzunterricht in Schulen über einen längeren Zeitraum bleibt nicht ohne negative Folgen für die Bildungsbiographien und die soziale Teilhabe der Kinder und Jugendlichen. Dennoch müssen die von den Ländern ergriffenen Maßnahmen auch in diesem Bereich bis Ende Januar verlängert werden, heißt es in dem Beschluss.

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), zeigte sich am Abend in Teilen enttäuscht.  Die Kultusministerminister sähen sich als Lobbyisten für gute Bildung und „ringen daher um jede Unterrichtsstunde Die KMK hat sich dafür ausgesprochen, dass in den Ländern, in denen es die Infektionszahlen erlauben, in einer ersten Stufe an den Grundschulen zum Präsenzunterricht zurückgekehrt werden kann. Das ist leider im Beschluss nicht so deutlich aufgegriffen worden“, sagte sie unserer Redaktion. Der Beschluss biete jedoch Spielräume, die in den Ländern genutzt werden können.

 Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands (DL), Heinz-Peter Meidinger, warnte vor wachsenden Lernrückständen und verschärften sozialen Ungleichheiten. „Es wird immer deutlicher, dass die Hoffnung, die Wissenslücken aus dem letzten Schuljahr in diesem Schuljahr ausgleichen zu können und gleichzeitig keine neue Defizite auflaufen zu lassen, nicht erfüllt werden kann“, sagte Meidinger. Er geht davon aus, dass selbst bildungspolitische Gegenmaßnahmen die sozialen Nachteile für Kinder und Jugendliche nicht vollständig abfangen können. „Natürlich kann man versuchen, durch Kürzung von Lehrplaninhalten und angepasste Prüfungsanforderungen Härten zu vermeiden. Aber das wird nicht verhindern können, dass sich die Gerechtigkeitslücke zwischen Kindern aus bildungsaffinen Elternhäusern und Kindern ohne elterliche Unterstützung oder aus schwierigen sozialen Verhältnissen vergrößern wird.“

(mün, jw)
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