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Parteitag der Linken in Leipzig Linke vertagt Versöhnung - schwaches Ergebnis für Kipping und Riexinger

Leipzig · Beim Parteitag stellt sich die Linke im Richtungsstreit um die Flüchtlingspolitik hinter ihre Vorsitzenden. Aber bei deren Wiederwahl müssen Kipping und Riexinger eine Schlappe hinnehmen. Gysi warnt vor linken Grenzüberschreitungen. Wagenknecht schreibt derweil an einer Rede.

Linken-Parteitag: Schwaches Ergebnis für Kipping und Riexinger
Foto: dpa/Britta Pedersen

Sahra Wagenknecht rührt keine Hand. Die Delegierten bejubeln gerade die Mahnung der Vorsitzenden Katja Kipping, dass nach diesem Parteitag und seinem Bekenntnis zu offenen Grenzen für Flüchtlinge endlich Ruhe bei der Linken einkehren müsse. Den Unruhe-Stifter wolle sie an dieser Stelle einmal persönlich ansprechen. Sein Name: Oskar Lafontaine. Sie mahnt: „Nach diesem Parteitag muss doch Schluss sein damit, dass die demokratische Beschlusslage der Flüchtlingspolitik dieser Partei ständig öffentlich in Frage gestellt wird.“ Das sei auch eine Frage des Respekts gegenüber den Delegierten. Kipping ruft: „Ihr verdient diesen Respekt!“ Begeisterung im Saal. Auch Fraktionschef Dietmar Bartsch klatscht, jedoch sparsam. Zwischen ihm und Co-Parteichef Bernd Riexinger sitzt Wagenknecht, die Co-Fraktionsvorsitzende und Ehefrau von Lafontaine. Sie trägt ein schwarzes Kleid, ihr schwarzes Haar ist wie immer zurückgebunden. Sie verzieht keine Miene. Darin ist sie Weltmeisterin.

Kipping streckt Wagenknecht ein bißchen die Hand hin

Ihr streckt Kipping ein kleines Stück weit die Hand aus. Das Ringen der Linken um Strategien gegen Rechts werde oft als Konflikt zwischen Sahra und ihr dargestellt, sagt die Parteichefin. Seit der Bundestagswahl im vorigen Jahr mit dem Einzug der rechtsnationalen AfD ins Parlament plädieren Wagenknecht und Lafontaine für einen besseren EU-Außengrenzenschutz und sprechen Sorgen um den Missbrauch von deutschen Sozialleistungen an. Offene Grenzen empfindet Wagenknecht als „weltfremd“. Dem Ehepaar hat das den Vorwurf des Rechtsrucks eingetragen hat. Vor allem in Abgrenzung zu Kipping und Riexinger, die für legale Fluchtwege kämpfen und eben offene Grenzen.

Jetzt sagt Kipping: „Ich möchte eines unmissverständlich klarstellen: „In unserer Partei gibt es weder Rassisten noch Neoliberale.“ Jeder müsse die Möglichkeit haben, sich in einer Sachfrage konkret zu positionieren. Und: „Hier muss sich niemand für oder gegen eine Seite zu entscheiden Denn wir sind alle Teil der Linken und das ist gut so.“ Applaus brandet auf. Kipping, von schmaler Gestalt und mit roten welligen kurzen Haaren, verkörpert eine Art Robina Hood, die Linke „an der Seite der Entrechteten“. Sie knüpft an den Kampf alter Genossen an, denn ihrer Ansicht nach verlaufen die Differenzen zwischen den Klassen: Oben und unten, arm und reich, Nord und Süd, Kapitalismus mit Ausbeutung von Mensch und Natur und demokratischer Sozialismus mit seinem Schutz für die Schwachen.

Kipping und Riexinger abgewatscht

Es ist Kippings Rede vor ihrer Wiederwahl zur Vorsitzenden. Sie habe das diesmal viel besser hinbekommen als vor zwei Jahren in Magdeburg, sagen Parteimitglieder in Gesprächen auf den Fluren der Messehalle in Leipzig. In Magdeburg hatte Kipping 74 Prozent der Stimmen und Riexinger 78,5 Prozent bekommen. Jetzt bei der Aussprache über die beiden in Leipzig rührt sich fast keine kritische Stimme.

Doch der Schein trügt. An diesem Samstag sieht es schlechter aus. Für viele eine Überraschung. Die Slawistin und Literaturwissenschaftlerin bekommt nur 64,6 Prozent der Stimmen. Für Riexinger, 62 Jahre alt, gelernter Bankkaufmann aus dem schwäbischen Leonberg, votieren 73,8 Prozent. Sie gehen Arm in Arm auf die Bühne und bedanken sich für die Wiederwahl. Sie würden die nächsten zwei Jahren im Sinne der Partei gut nutzen, sagt Kipping. Riexinger erklärt, er hofft, 2020 sagen zu können, die Stärkung der Partei sei ihm gelungen. Sie wirken enttäuscht.

Seit 2012 steht das Duo an der Spitze der Linkspartei. Damals in Göttingen hatte es das Lager Wagenknecht/Lafontaine geschafft, Bartsch als Parteichef zu verhindern und stattdessen Riexinger auf den Posten zu hieven. Heute halten Wagenknecht und Bartsch gut zusammen, Kipping und Riexinger ebenso. Wie die Zeiten sich doch ändern. Wagenknecht hätte es zu gern gesehen, wenn es eine Kampfkandidatur gegeben hätte. Wenigstens das. Aber es fand sich niemand, der gegen Kipping oder Riexinger antreten wollte.

Riexinger hatte am Vorabend in einer wenig mitreißenden Rede vor den 580 Delegierten den Streit nicht beim Namen genannt, sondern sichere, legale Fluchtwege und offene Grenzen schlicht als Selbstverständnis der Linken bezeichnet. Zuvor hatten die Delegierten die Redezeit der „Parteibonzen“ auf diesem Parteitag gekürzt, um der Basis mehr Raum für Beiträge und Anträge zu geben. In der Aussprache bekam Riexinger den Ärger in der Partei ab, dass der Vorstand Wagenknecht in die rechte Ecke stelle.

Der Leitantrag des Vorstands aber wird mit „riesiger Mehrheit“ beschlossen, wie Katina Schubert feststellt. Die Tagesleiterin mit den raspelkurzen grau-weißen Haaren führt durch den Parteitag wie eine Generalin. Wer seine Redezeit auch nur um Sekunden überzieht, wird gemaßregelt und abgewürgt. Keine Gnade. Für Linke-Verhältnisse ist das bemerkenswert.

Wagenknecht schreibt an Rede

Wagenknecht nimmt weder an der Abstimmung zum Leitantrag noch über die Vorsitzenden teil. Sie schreibt im Hotel derweil an ihrer eigenen Rede. Sie kann allerdings ihre Stimme auch gar nicht abgeben, denn sie ist keine Delegierte. Sie habe sich nicht dafür aufstellen lassen, weil Parteitage ein „Privileg der Basis“ seien, heißt es. Vermutlich ist das ihre Art, einen einfacheren Weg zu gehen. Ihr Co-Fraktionsvorsitzender Bartsch ist übrigens Delegierter. Wie sich Wagenknecht nach diesem Parteitag positionieren wird, sollen die Delegierten, die Basis, am Sonntag erfahren. Denn dann spricht sie.

Mit Spannung wird erwartet, ob sie etwas zu ihrer mit Lafontaine geplanten linken Sammlungsbewegung sagen wird, durch die Parteimitglieder eine Spaltung der Linken befürchten. Nach Bekanntgabe des schlechten Wahlergebnisses Für Kipping und Riexinger, sagt Wagenknecht in die Kameras, nach diesem Parteitag solle die Linke zur Sacharbeit zurückkehren. Der Leitantrag sei in vielen Teilen sehr gut. Auf die Frage, ob es geschickt gewesen sei, dass Kipping Oskar Lafontaine kritisierte, sagt Wagenknecht nur, jeder habe seinen Stil.

Gysi heimst größten Applaus ein

Den größten Applaus von allen bekommt Gregor Gysi. Der frühere Fraktionschef und jetzige Vorsitzende der Europäischen Linken nennt vier Gründe, warum er links bleiben will: Erstens sei die Linke im Kern eine Friedenspartei. Zweitens wolle sie Armut ebenso ausschließen wie grenzenlosen Reichtum, der zur Armut der Anderen führe. Drittens sei sie für Chancengleichheit für alle. Der wichtigste Grund aber sei der wichtigste: der Internationalismus. Niemals dürfe die Linke zulassen, dass nationale Aufgaben gelöst werden, indem es Menschen in anderen Ländern schlechter gehe. Die Linken dürften den Rechten nicht entgegenkommen, sondern müssten sie vom Gegenteil überzeugen. Gysi nennt keinen Namen. Im Saal wissen aber alle, dass er sich damit auf die Seite von Kipping und Riexinger stellt. Er sagt zu Kritik an den Parteivorsitzenden, „man sollte bestimmte Grenzen nicht überschreiten“.

Kipping mahnt in ihrer Rede, den Rechtsruck im Land nicht zu unterschätzen. „Er ist der Bodensatz für einen neuen Faschismus.“ Die Linke sei das Kontrastprogramm zur autoritären Rechten, zur AfD und „zu Typen“ wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Spahn hatte jüngst deutlich gemacht, dass er Hartz-IV-Empfänger nicht für arm hält, was auch in der CDU kritisch und „hartherzig“ aufgenommen wurde. Dobrindt wünscht sich eine „konservative Revolution“ – ein Begriff, der in der Weimarer Republik von Gruppen geprägt wurde, die den Nazis den Weg bereitet hätten, wie Kipping bemerkt. Sie warnt: „Die Abschaffung der Demokratie kann ganz schnell vor sich gehen.“

Sie ist so konzentriert auf Inhalt und Wirkung, dass sie auf den großen Schlussbeifall mechanisch reagiert. Sie winkt wie ferngesteuert. Sie steht vor der riesigen rotgefärbten Plakatwand mit der Aufschrift: „Gemeinsam mehr werden. Gerechtigkeit ist machbar.“ Kipping bewegt nur einen Arm statisch nach rechts und links. Dabei hatte sie gerade Großes angekündigt: „Zukunft, wir kommen.“ Der Jubel ist ihr sicher. Nichts deutet auf das schlechte Wahlergebnis hin, das die Delegierten ihr wenige Stunden später zufügen werden.

Um 16:45 Uhr kommen, man glaubt es kaum, kommen Kipping, Wagenknecht, Riexinger und Bartsch gemeinsam auf die Bühne. Es geht um ein „Signal für den Frieden“, um ein „Symbol, dass es wieder aufwärts“ geht, sagen sie. Sie meinen eine gemeinsame Position zur Stärkung des von den USA gekündigten internationalen Atomabkommens mit dem Iran. Die Delegierten wollen es nach an diesem Tag aber auch so sehen: Als Zeichen für Versöhnung in der Partei. Wenn nicht gleich, dann eben später.

(kd)
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