Interview mit Linda Teuteberg „Zweite Ausbildung im höheren Alter“

Berlin · Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg will es Berufstätigen durch ein Midlife-Bafög ermöglichen, auch im höheren Alter umzusatteln. Im Interview mit unserer Redaktion fordert sie zudem, dass die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich aufgehoben werden.

 Linda Teuteberg (38) kommt aus Brandenburg und ist seit Mai FDP-Generalsekretärin.

Linda Teuteberg (38) kommt aus Brandenburg und ist seit Mai FDP-Generalsekretärin.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Sie sind seit gut drei Monaten FDP-Generalsekretärin. Zeit für eine kleine 100-Tage-Bilanz: Ist Ihre Partei kampagnenfähig für einen nächsten Bundestagswahlkampf, wann auch immer er beginnt?

Teuteberg Ja. Wir konzentrieren uns jetzt aber erst einmal auf die drei Landtagswahlkämpfe in Ostdeutschland. Zwei davon, in Brandenburg und in Sachsen, sind schon in vollem Gange. Im Europawahlkampf bin ich auf ein Pferd im Galopp aufgesprungen und habe mir nebenher ein genaueres Bild der Parteizentrale gemacht und unsere Mitarbeiter in vielen Gesprächen kennengelernt. Das hat sehr gut funktioniert.

Als Wadenbeißerin – die klassische Generalsekretärsrolle - sind Sie noch nicht aufgefallen. Wird das auch künftig nicht Ihr Stil sein?

Teuteberg Ich bin wie ich bin und dafür wurde ich von der Partei gewählt. Ich habe verschiedene Tonlagen drauf und trete auf, wie es die Situation erfordert.

Viele Parteien im Osten setzen in ihrem Wahlkampf ja auf die Benachteiligung der Ostdeutschen. Ist das auch die Strategie der FDP?

Teuteberg Nein. Wir wollen Probleme und Schwierigkeiten zum Vorteil der Bürger lösen. Verschwörungstheorien und Spaltung zum eigenen parteipolitischen Vorteil zu schüren und zu bewirtschaften ist das Geschäftsmodell anderer. Die Bürger, die im Osten unserer Republik leben, haben Besseres verdient als rückwärtsgewandte Ablenkungsmanöver wie die Diskussion über einen Treuhand-Untersuchungsausschuss, die keinen einzigen Arbeitsplatz zurückbringt. Leider haben auch Teile der SPD in Ostdeutschland die Geister gerufen, die AfD und Linke in diesem Wahlkampf besonders dreist beschwören.

Welche Themen muss die FDP auf Bundesebene setzen, um wieder mehr ins Spiel zu kommen?

Teuteberg Wir haben bei allen Themen Antworten. Aber natürlich werden wir weiter unsere Stärken in den Vordergrund stellen: Wirtschaftliche Vernunft, Rechtsstaat, Bildung und Digitalisierung. Auch die Entlastung der arbeitenden Mitte in Deutschland ist weiter ein wichtiges Thema. Der Solidaritätszuschlag muss, wie es versprochen war, komplett abgeschafft werden. Das ist eine Frage von Glaubwürdigkeit und Gerechtigkeit.

Das Thema wirtschaftliche Kompetenz hat gerade wenig Konjunktur . . .

Teuteberg Das heißt aber nicht, dass wir ein Abonnement auf Wohlstand hätten. Die Sonderbedingungen der letzten Jahre, die uns zum Beispiel durch Niedrigzinsen künstlich kräftiger dastehen lassen als wir eigentlich sind, werden nicht auf Dauer so bleiben. Wir wollen unser Land wetterfest machen, damit es auch gut durch stürmische Zeiten kommt. Wir brauchen zum Beispiel international wettbewerbsfähige Steuersätze und müssen die Steuerzahler von der kalten Progression entlasten. Mit dem Midlife-Bafög haben wir ein Konzept vorgelegt, um auf die vielfältiger werdenden Berufswege zu reagieren und keine Biografie zur Sackgasse werden zu lassen. Auch im mittleren oder höheren Alter sollte man noch eine zweite Ausbildung machen können.

Was sieht es mit dem Thema Klimaschutz aus – da gibt jetzt sogar die CSU Gas. Herr Söder spricht sich unter anderem für billige Bahntickets, mehr Bäume und einen früheren Kohlausstieg aus. . .

Teuteberg Die plötzlichen Vorschläge sind aktionistisch und wenig glaubwürdig. Wir müssen Klimaschutz, der auch für uns eine der wichtigsten Herausforderungen ist, so intelligent machen, dass er nicht den Produktionsstandort Deutschland gefährdet und eine klimaneutrale Industrie schaffen. Nur dann wird unser Beispiel für andere auf der Welt so attraktiv sein, dass sie ihm folgen, nicht aber, wenn wir durch Deindustrialisierung das Klima schützen wollen. Neben dem Pariser Klimaabkommen, das einen internationalen Ziel-Konsens beschreibt, brauchen wir endlich einen Konsens über nationale Maßnahmen, mit denen wir diese Ziele erreichen können. Außer der CDU hat noch niemand auf unser Gesprächsangebot für einen nationalen Klimakonsens reagiert.  Dass ausgerechnet die Grünen kein Interesse an gemeinsamen Lösungen zeigen, finde ich enttäuschend.

Statt Aktionismus mit billigen Bahntickets bedarf es welcher Maßnahmen?

Teuteberg Bahnfahren sollte günstig und attraktiv sein. Dafür müssen die Züge aber überhaupt und zuverlässig fahren. Viel wichtiger als die Frage der Mehrwertsteuer auf Bahntickets sind daher Investitionen in die Schieneninfrastruktur und Digitalisierung der Bahn.

Die FDP setzt beim Einsparen von CO2 auf Emissionshandel. Wie soll das im Alltag der Bürger funktionieren?

Teuteberg Anders als bei der CO2-Steuer wird eine streng begrenzte Menge an CO2-Ausstoß zugelassen. Wer zum Beispiel als Raffineriebetreiber für CO2-Ausstoß verantwortlich ist, muss dafür Zertifikate kaufen. Ein konsequenter Zertifikate-Handel setzt darauf, dass eingespart werden muss und das wird zunächst dort geschehen, wo am günstigsten und damit auch am meisten eingespart werden kann. Es soll bei der CO2-Vermeidung nicht wie beim EEG laufen. Das kostet in diesem Jahr wieder 33 Milliarden Euro und trotzdem verfehlt die Bundesrepublik ihre Klima-Ziele.

In diesem Sommer waren Frankfurt und Stuttgart Schauplatz fürchterlicher Gewalttaten. Auch ohne diese Verbrechen haben viele Bürger im Land den Eindruck, es sei etwas ins Rutschen geraten. Was kann und muss die Politik ändern?

Teuteberg Dieses Gefühl gibt es. Das nehme ich auch wahr und diese Verunsicherung müssen wir sehr ernst nehmen. Es darf aber kein Anlass für Aktionismus sein oder dafür, sich über solche Taten politisch zu profilieren. Man kann allerdings auch nicht einfach nichts tun und abwarten. Wir müssen die tatsächliche Sicherheit verbessern, und zwar nicht immer nur dann, wenn gerade etwas passiert ist.

Haben wir Gesetzeslücken oder ein Vollzugsproblem?

Teuteberg Wir haben vor allem ein Vollzugsproblem. Geltendes Recht muss konsequenter umgesetzt werden. Dafür brauchen die Sicherheitsbehörden eine bessere Ausstattung, es bedarf an bestimmten Stellen mehr Polizeipräsenz. Und wir brauchen mehr Akzeptanz für die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Wenn ich an Beispiele wie den Hambacher Forst und G20 denke, dann mangelt es an gesellschaftlicher Akzeptanz für die Durchsetzung von Recht. In solchen konkreten Fällen gibt es beispielsweise von Grünen-Chef Habeck leider wenig Klarheit.

Nach der Tat von Frankfurt hat der Innenminister gesagt, dass er auch an der deutsch-schweizerischen Grenze Kontrollen einsetzen möchte, wie es sie zwischen Deutschland und Österreich gibt. Ist das die richtige Konsequenz?

Teuteberg Es hätte in dem konkreten Fall auch nicht geholfen. Vielmehr bedarf es eines zügigen und zuverlässigen Informationsaustauschs zwischen den Staaten in Europa über Personen, nach denen gefahndet wird oder die als Gefährder gelten. Grundsätzlich bin ich gegen stationäre Grenzkontrollen und ein Sonderregime an der bayerisch-österreichischen Grenze. Das führt nur zu Ausweichbewegungen zu anderen, nicht-überwachten Grenzen zum Beispiel zu Frankreich oder Tschechien. Die Bundespolizei sollte an allen deutschen Grenzen lageabhängig und lageangemessen kontrollieren können. Stationäre dauerhafte Grenzkontrollen sind im Schengenraum nicht zulässig und Deutschland sollte sich daran halten.

(qua)
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