Ambulanz in Köln Letzte Hoffnung - das Heroin vom Arzt

Köln (RP). Kurz vor 13 Uhr ist die Kölner Lungengasse ein stark frequentierter Ort. Zahlreiche Männer und Frauen warten ungeduldig auf Einlass. Nervös wippen sie von einem Bein auf das andere, hoffend, dass endlich einer der Ärzte die Tür öffnet. Die Nacht war lang, und der Körper verlangt nach dem nächsten Kick. Einige rauchen noch schnell eine Zigarette - der Ablenkung halber. Doch das "Paradies”, wie es die Abhängigen nennen, wartet auf der anderen Seite der Glastür.

Wer Teilnehmer am bundesweiten Heroin-Projekt ist, muss sich an klare Öffnungszeiten halten. Auch wenn es einigen schwerfällt. "Wenn die Entzugserscheinungen eintreten, glaubt man, man hätte einen Schleier vor Augen. So als schaut man aus dem Fenster und sieht nur dichten Nebel”, sagt Heinz Schröder. "Der Einstich der Nadel sorgt wieder für klare Sicht.”

Der 38-Jährige muss es wissen. Ohne jede Scham schildert er seine 24-jährige "Drogenkarriere". Heroin, Kokain, Alkohol, Tabletten - der Kölner hat die gesamte Palette an suchtauslösenden Mitteln ausprobiert. Eben "alles, was sich auf die Schnelle auftreiben ließ”. Mit 14 Jahren probierte er Haschisch. Aus Neugier. Dass er mit den Jahren immer mehr abstürzte und sein soziales Umfeld verlor, merkte er zu spät. "Seit 1991 bin ich voll abhängig”, gesteht er. "Mein gesamter Lebensinhalt bestand darin, zu überlegen, wie ich an Stoff komme. Dafür habe ich sogar geklaut. Ich brauchte täglich 200 Mark.”

Das Gefühl des Wartens kennt Schröder nur zu gut. Seit Beginn des Projektes im Jahr 2002 kommt er täglich zur Heroin-Ambulanz. Er ist einer von 41 schwerstabhängigen Teilnehmern. Anfangs kam er zwei bis dreimal am Tag, um sich die Droge unter ärztlicher Aufsicht zu spritzen. Das Prozedere ist immer das gleiche. Erst anstehen, dann anmelden und bei Aufruf in einer der beiden Fixer-Kabinen verschwinden. Jede dieser Kabinen ist noch einmal zweigeteilt, getrennt von einer Panzerglasscheibe - der Sicherheit wegen. Auf der einen Seite stehen zwei Stühle sowie Desinfektionsmittel und Tücher. Gegenüber sitzt eine Schwester, die eine individuelle Dosis Heroin - in diesem Fall synthetisches Heroin, auch Diamorphin genannt - durch eine Schublade an den Patienten ausgibt. Je nach Bedarf, drei Mal täglich. "Jeder spritzt sich selbst", sagt Mario Vogel, zuständiger Arzt in der Heroin-Ambulanz.

Schröder ist sich sicher: "Ohne das Projekt wäre ich sicher nicht mehr am Leben." Nach vielen, vergeblichen Selbstversuchen eines kalten Entzuges, fünf Überdosen, Herzstillstand, Gefängnis und zahlreichen einsamen Nächten auf der Straße, beschloss er, sein Leben zu ändern. "Das hier war meine letzte Chance, weil mein Körper das alternative Methadon nicht vertragen hat." Das Problem haben viele Abhängige, deshalb sei es wichtig, das Projekt weiterzuführen, betont Vogel.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, drängt deshalb auf eine gesetzliche Grundlage für die Heroinbehandlung. Denn bislang ist eine staatliche Heroin-Abgabe nicht im Betäubungsmittelgesetz vorgesehen. Bis April müsse ein Gesetzentwurf her, der das Projekt auch über den 30. Juni hinaus sichert. Dass sich nun auch Union-Fraktionschef Kauder für den Fortbestand des Modells aussprach, sei ein erster Schritt.

Schröder weiß um die Bedeutung des Projekts: Seit vier Monaten ist er clean, besitzt eine Wohnung und arbeitet als Hausmeister. In projektbegleitenden psychologischen Behandlungen versucht er nun einmal wöchentlich, sein "neues" Leben zu sortieren und gegen Rückfälle zu kämpfen. Heute gibt er außerhalb der Öffnungszeit eine Urinprobe ab, die auf Drogen untersucht wird. Er stellt den Becher ab und verabschiedet sich.

Derweil öffnet die Heroin-Ambulanz pünktlich um 13 Uhr ihre Tore. Einer nach dem anderen betritt die Anmeldung im ersten Stock. Schröder schaut bewusst nur einmal durch die Tür, verschafft sich einen Überblick, wer gekommen ist. Sprechen möchte er mit niemandem. Er hat abgeschlossen mit dem Leben als Süchtiger. Ein "Hallo" zu den ehemaligen Leidensgenossen wäre für ihn wie ein Rückfall. Die Scheibe zwischen sich und den Suchtkranken wirkt dabei wie eine symbolische Trennwand, ein Abschluss mit der Vergangenheit.

(RP)
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