Offene Lehrerstellen NRW will Lehrer flexibler einsetzen

Die Spezialisierung auf Schulformen soll gelockert werden – Nordrhein-Westfalens Landesregierung will so dem Mangel an Grund-, Haupt- und Förderschulen entgegenwirken.

 Blick in den Klassenraum einer Grundschule (Symbolbild).

Blick in den Klassenraum einer Grundschule (Symbolbild).

Foto: dpa/David-Wolfgang Ebener

Im Kampf gegen den Lehrermangel prüft das NRW-Schulministerium offenbar Möglichkeiten, Lehrer grundsätzlich flexibler in allen Schulformen einsetzen zu können. „Es gibt auf lange Sicht deutlich zu viele Gymnasiallehrer und deutlich zu wenig Lehrer für Grund-, Haupt und Förderschulen. Wir können gar nicht anders, als Lehrer flexibler als bisher auf die Schulformen zu verteilen“, sagte ein hochrangiger Ministerialbeamter unserer Redaktion. Offiziell will das Ministerium das nicht bestätigen: „Wir arbeiten an neuen Instrumenten gegen den Lehrermangel, aber es ist noch nichts spruchreif“, sagte ein Sprecher.

Im Mai waren landesweit 4051 Lehrerstellen zu besetzen, für die es aber nur 2660 passende Kandidaten gab. Einer aktuellen Lehrerbedarfsprognose zufolge geht das Land in den nächsten zehn Jahren von einer Unterversorgung von bis zu 15.000 Lehrern aus.

An Grundschulen gibt es demnach in der kommenden Dekade einen Einstellungsbedarf von 1600 Lehrern pro Jahr, aber nur 1400 neue Lehrer jährlich. In der Sekundarstufe I (Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschulen) steht dem hochgerechneten Angebot von 1100 Lehrern pro Jahr ein Bedarf von rund 1700 Kräften gegenüber. An den Berufskollegs werden wohl nur 500 neue Lehrer pro Jahr auf 700 frei werdende Stellen verteilt werden können. An den Sonderschulen zeichnet sich vor allem eine Unterversorgung von Schülern mit emotionalen und sozialen Handicaps sowie mit eingeschränktem Hör- und Sehvermögen ab. Den Gymnasien steht hingegen ein jährliches Angebot von knapp 3400 neuen Lehrern zur Verfügung, obwohl sie im Schnitt nur 2100 pro Jahr brauchen.

Eine Art Feldversuch zum Einsatz von Gymnasiallehrern an Grundschulen führt das Land seit Herbst 2017 bereits durch. Absolventen, die nach ihrem Referendariat keine Stelle an einem Gymnasium finden, können in NRW für zwei Jahre an einer Grundschule unterrichten. Damit verbunden ist die Garantie, danach an eine weiterführende Schule versetzt zu werden. „Bis April 2018 hatten bereits mehr als 80 Lehrerinnen und Lehrer mit Lehramtsbefähigung für die Sekundarstufe II das neu geschaffene Angebot angenommen“, teilte das NRW-Schulministerium auf Anfrage mit. Aus dem Umfeld des Ministeriums hieß es, die Ergebnisse seien ermutigend. Nun wird geprüft, ob die Durchlässigkeit für den Einsatz von Lehrern an unterschiedlichen Schulformen generell vergrößert werden kann.

Der Chef der Kultusministerkonferenz auf Bundesebene (KMK), Helmut Holter, will Lehrer sogar gar nicht mehr strikt getrennt nach Schularten ausgebildet wissen: „Wenn wir erreichen wollen, dass wir den Unterricht an den Schulen absichern wollen, müssen wir die Durchlässigkeit zwischen den Schulen erhöhen“, sagt der Linken-Politiker, der zugleich Schulminister in Thüringen ist. Seiner Ansicht nach soll die Lehrerausbildung nicht mehr etwa nach Gymnasium, Grund- und Realschule erfolgen, sondern nach Altersstufen der zu unterrichtenden Kinder. So könnten Lehrer in verschiedenen Schularten eingesetzt werden.

Die gewerkschaftsähnliche Lehrerorganisation „Lehrer NRW“ hält derartige Überlegungen zumindest als vorübergehende Notlösung für akzeptabel. „Wer Qualität will, muss zwar grundsätzlich die Spezialisierung von Lehrern fördern“, sagt Landeschefin Brigitte Balbach, „aber als vorübergehende Notlösung gegen den Lehrermangel ist der flexiblere Einsatz von Lehrkräften über unterschiedliche Schulformen hinweg denkbar.“

Wie viel Unterrichtsausfall dem Lehrermangel in NRW bereits geschuldet ist, weiß niemand. Ministerin Yvonne Gebauer (FDP) lässt nach den Sommerferien erstmals an allen rund 5000 öffentlichen Schulen in NRW die Daten zum erteilten und ausgefallenen Unterricht digital erfassen. Eine erste umfassende Veröffentlichung ist nach Ablauf des Schuljahres 2018/19 geplant. Eine von ihrer Vorgängerin Sylvia Löhrmann (Grüne) veranlasste, methodisch aber umstrittene Stichprobe ergab im Schuljahr 2015/16 einen Anteil von 1,8 Prozent ersatzlos ausgefallenen Unterrichts.

Nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, ist die Unterrichtsversorgung in NRW „auf Kante genäht“. Nach einer KMK-Prognose wird die Zahl der Schüler bis 2030 bundesweit um 278.000 auf 11,2 Millionen steigen.Als Gründe gelten steigende Geburtenzahlen und Zuwandererfamilien.

Die Bundesländer gehen mit unterschiedlichen Strategien gegen den Lehrermangel vor. Sachsen will mit einer Geldprämie versuchen, den Lehrermangel auf dem Land einzudämmen: Referendare sollen von Januar 2019 an bis zu 1000 Euro Zulage bekommen, wenn sie ihren Anwärterdienst im ländlichen Raum absolvieren. In Brandenburg können bald Lehrer auch nach der Pensionierung weiter arbeiten, wenn besondere dienstliche Interessen vorliegen.

NRW hat das Lehramt in großem Stil für Seiteneinsteiger geöffnet und stockt außerdem die Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen auf. Derzeit werden 340 zusätzliche Studienplätze für angehende Grundschullehrer geschaffen. Zum Vergleich: Bayern stockt die entsprechenden Kapazitäten sogar um 700 Plätze auf.

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