Kind oder Kuh? Die vernachlässigte Rolle von Frauen in der Landwirtschaft

Berlin · Rund ein Drittel der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft sind weiblich. Und doch kann von Gleichstellung keine Rede sein, wie eine aktuelle Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen auf deutschen Höfen zeigt. Expertinnen berichten aus dem Alltag von Bäuerinnen und weiblichen Angestellten.

 Laut Studie sind in landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland durschnittlich 1,3 Frauen beschäftigt.

Laut Studie sind in landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland durschnittlich 1,3 Frauen beschäftigt.

Foto: dpa/Steve Parsons

Sie versorgen Tiere, misten Ställe aus, kümmern sich nebenbei um die Familie oder übernehmen Arbeit im Büro: Frauen in der Landwirtschaft sind in den verschiedensten Funktionen tätig – und bleiben doch oft unsichtbar. Die Arbeit in der Landwirtschaft wird immer noch vorrangig Männern zugeschrieben. Dabei spielen Frauen auf vielen deutschen Höfen eine tragende Rolle, wie eine aktuelle Studie vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft und der Universität Göttingen zeigt. Es ist die erste Untersuchung seit über 30 Jahren, welche die Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in der Landwirtschaft in den Blick nimmt. Das Ergebnis: Von einer Gleichstellung der Geschlechter kann auf deutschen Höfen keine Rede sein. Darüber diskutierte der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft am Montag in Berlin.

„Noch heute werden Frauen, die einen landwirtschaftlichen Betrieb leiten, von Beratern und Vertretern gefragt, ob denn auch der Chef zu sprechen sei“, berichtete Zazie von Davier, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Thünen-Institut. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Janna Luisa Pieper von der Universität Göttingen koordinierte sie das Projekt, an dem rund 7000 Frauen teilgenommen haben. Im Durchschnitt seien auf jedem landwirtschaftlichen Betrieb 1,3 Frauen beschäftigt – bezahlt oder unbezahlt. Obwohl sie in den Unternehmen viel Verantwortung trügen, seien sie rechtlich oftmals nicht am Betrieb beteiligt. 31 Prozent der Befragten gaben an, sich nicht ausreichend abgesichert zu fühlen, 26 Prozent konnten dazu überhaupt keine Angaben machen.

„Offiziell wird nur jeder neunte Betrieb von einer Frau geleitet“, sagte von Davier. Nur elf Prozent der Flächen und Gebäude seien im Besitz von Frauen – Zahlen, die laut Studie seit 30 Jahren nahezu unverändert geblieben sind. Die Gründe seien vielfältig: veraltete Geschlechterbilder, die Vernachlässigung von Töchtern bei der Vererbung von Höfen oder die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Landwirtschaft. „Für viele stellt sich die Frage: Kind oder Kuh?“, sagte Pieper.

Hanka Mittelstädt zeigt, dass es anders geht. Gemeinsam mit ihrem Bruder leitet sie das mittelständische Familienunternehmen Ucker-Ei in Brandenburg und ist damit eine von wenigen Frauen in der Landwirtschaft, die einen Betrieb führt. Sie plädierte für Mentoring-Programme für Existenzgründerinnen, „um Vorzeigebetriebe in den Fokus zu rücken, wo Frauen zeigen, wie es funktionieren kann“.

Darüber hinaus müsse auch der Bund aktiv werden, wie die Erste Vizepräsidentin des Deutschen Landfrauenverbandes, Juliane Vees, forderte: „Wir wünschen uns regelmäßige Erfassungen der Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in der Landwirtschaft, um mehr Transparenz und Sichtbarkeit zu schaffen.“ Zum Beispiel brauche es eine differenzierte Erhebung in der Agrarstatistik, eine Befragung der landwirtschaftlichen Betriebe zu Themen wie der Bodennutzung, Eigentumsverhältnissen und Arbeitskräften. Auf die Frage, ob die Regierung eine solche Änderung der Agrarstatistik plane, antwortete die Parlamentarische Staatssekretärin Claudia Müller, dass diese aktuell noch die Ergebnisse auswerte und die nächsten Schritte vorbereite.

Trotz einer hohen Arbeitsbelastung und oftmals fehlender Planungssicherheit zeigten sich die befragten Frauen aber überwiegend zufrieden. Nichtsdestotrotz dürfe diese Zufriedenheit nicht vom Handlungsbedarf ablenken. „Ich wünsche mir, dass die Politiker und Politikerinnen uns Frauen im ländlichen Raum nicht vergessen, denn wir brauchen ihre Unterstützung“, betonte Mittelstädt.

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