Minderheitsregierung oder CDU-Bündnis? Wie Ramelow in Thüringen jetzt weiter regieren will

Erfurt · Fröhlich wirkt in Thüringen derzeit nur einer: Wahlgewinner Bodo Ramelow. Er ist als Ministerpräsident weiter geschäftsführend im Amt. Und er hat Zeit, neue Allianzen zu schmieden. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

 Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Linken, gibt eine Pressekonferenz über den Ausgang der Landtagswahl in Thüringen.

Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Linken, gibt eine Pressekonferenz über den Ausgang der Landtagswahl in Thüringen.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Wer muss handeln?

In Zugzwang ist der klare Wahlgewinner, Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow. Seine Herausforderung: Unterstützung aus dem bürgerlichen Lager für Rot-Rot-Grün zu organisieren. Denn jenseits der AfD ist eine Regierungsbildung nur möglich, wenn CDU oder FDP mit der Linken kooperieren.

Was sind die nächsten Schritte?

Die Parteien rüsten sich in Erfurt für einen Verhandlungsmarathon. Die Linke, die die Wahl am Sonntag mit 31 Prozent gewann, will die anderen demokratischen Parteien einladen. Am Mittwoch soll zunächst mit den bisherigen Koalitionspartnern, also SPD und Grünen, gesprochen werden, wie Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow ankündigte. Erwartet wird, dass sich ihre Partei auch mit dem CDU-Kontrahenten Mike Mohring und wahrscheinlich der FDP austauscht, die knapp über die Fünf-Prozent-Marke kam.

Haben solche Gespräche eine Chance?

Zumindest gibt es über die Parteilager hinweg Bewegung. Zur Überraschung vieler sagte Mohring, er werde aus Verantwortung für das Land eine Gesprächseinladung von Ramelow annehmen. Dafür habe er die Rückendeckung der Bundesspitze bekommen, so Mohring. Er wolle die Vorstellungen von Ramelow ausloten, wie es in Thüringen weitergehen könne. Es gehe um „eine neue Situation, wie sie die deutsche Politik noch nicht gesehen“ habe. Eine Koalition mit der Linken schloss die CDU-Bundesspitze mit Verweis auf Parteitagsbeschlüsse allerdings aus. Die FDP, die noch nicht mit absoluter Sicherheit im Landtag ist, will allenfalls bei Sachthemen kooperieren.

Was ist mit SPD und Grünen, die bei der Wahl schwächelten?

Trotz massiver Verluste bietet sich die SPD für eine weitere Regierungsbeteiligung an. „Die SPD steht bereit, Verantwortung zu übernehmen“, sagte Parteichef Wolfgang Tiefensee. Auch die Grünen würden wohl wieder mitmachen, wie ihre Umweltministerin und Spitzenkandidatin Anja Siegesmund andeutete.

Droht Thüringen die Regierungsunfähigkeit?

Nein, das Land wird weiter regiert - nach der Verfassung bleibt der Ministerpräsident so lange geschäftsführend im Amt, bis ein neuer gewählt ist. Eine Frist, wann das passieren muss, gibt es nicht. „Das ist eine komfortable Situation“, sagt der Politikwissenschaftler André Brodocz. Ramelow hat aber angekündigt, sich bald zur Wahl im Landtag zu stellen. „Ich strebe eine zügige Wahl an“, bekräftigte der 63-Jährige am Montag.

Wie soll das gehen, wenn seine rot-rot-grüne Koalition keine Mehrheit hat?

Ramelow muss bei der Wahl Durchhaltevermögen beweisen - im dritten Durchgang braucht er gemäß Verfassung nur noch die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Wenn die CDU, die 24 Jahre lang in Thüringen die Ministerpräsidenten stellte, mitspielt und keinen Gegenkandidaten aufstellt, liefe Mohring auch nicht Gefahr, mit AfD-Stimmen gewählt zu werden.

Welches Regierungsmodell wäre möglich?

Der Parteienforscher Torsten Oppelland kann sich ein politisches Experiment vorstellen: Vor fünf Jahren habe es die erste rot-rot-grüne Koalition in Thüringen gegeben, nun folge möglicherweise eine Minderheitsregierung mit einem Linken an der Spitze. „Das funktioniert aber nur, wenn die Regierung zumindest für einen Teil ihrer Gesetzesprojekte Unterstützung bekommt. Es braucht eine halbwegs verlässliche Zusage“, meint Oppelland. Nach seiner Einschätzung baut Ramelow Mohring bereits Brücken für ein mögliches Minderheitsregierungsmodell. So interpretiere er jedenfalls die Ankündigung Ramelows, mehr Möglichkeiten für direkte Demokratie durch Bürgerbeteiligung zu ermöglichen - bis hin zum CDU-Vorschlag, vom Parlament beschlossene Gesetze einer Volksabstimmung zu unterziehen.

Hat es Minderheitsregierungen in Deutschland schon gegeben?

Sie sind bisher selten, wurden aber immer wieder praktiziert, wenn auch oft nur als Übergangslösung. Es gab sie in Sachsen-Anhalt und als zeitlich begrenzte Modelle in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und Schleswig-Holstein. In Nordrhein-Westfalen bildeten SPD und Grüne nach der Landtagswahl 2010 aus der Opposition heraus eine Minderheitsregierung. Hannelore Kraft (SPD) wurde zur Ministerpräsidentin gewählt, weil sich die Linke bei der Abstimmung im Landtag enthielt. Die Minderheitsregierung scheiterte im Frühjahr 2012, als die Linke gegen den Haushalt stimmte.

(atrie/dpa)
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