Vier Wochen vor Landtagswahl in Bayern Die Angst der CSU vor dem Wähler

Berlin · Die CSU trifft sich vier Wochen vor den bayerischen Landtagswahlen zu einem „Mobilisierungs- und Kampfparteitag“. Warum die Umfragen in Bund und Land sowie weitere Signale die Christsozialen nervös machen.

 Bundesinnenminister Horst Seehofer (l, CSU) und Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (l, CSU) und Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern.

Foto: dpa/Peter Kneffel

Es sind nicht eben wenige Gäste in der bayerischen Landesvertretung in Berlin, als Vize-Ministerpräsidentin Ilse Aigner zur Eröffnung des Oktoberfestes auf die Bühne geht. Aber „tausend“, wie sie bei ihrer Begrüßung sagt, sind es dann doch bei Weitem nicht. Und auch „der halbe Bundestag“ ist, anders als von ihr behauptet, natürlich nicht gekommen. Die Politikerin ist offenbar im aktuellen CSU-Modus. Also: Zahlen schönreden. Denn am Vorabend des CSU-Parteitages an diesem Samstag in München sind die Umfragewerte schlicht desaströs.

Sie sagen nicht nur den aus CSU-Sicht „Größten Anzunehmenden Unfall“ (GAU), also den Verlust der absoluten Mehrheit, voraus, sondern lassen sogar einen Super-GAU als möglich erscheinen: den Verlust der Regierungsbeteiligung. Der letzte Trend ergab eine Mehrheit im nächsten Landtag jenseits von CSU und AfD. Natürlich ist es keine realistische Option, dass FDP, Linke und Freie Wähler unter einer grünen Ministerpräsidentin  eine stabile Koalition hinbekommen könnten. Aber allein die rechnerische Möglichkeit ist für die über Jahrzehnte erfolgsverwöhnte CSU wie der Blick auf den eigenen Untergang.

Kämpfen, kämpfen, kämpfen und bloß nicht über Was-ist-wenn-Szenarien nachdenken, sagt jeder Verantwortliche, der in diesen Tagen im kleinen Kreis oder gar unter vier Augen nach der innerparteilichen Stimmung gefragt wird. Und wenn er dann die Stimme senkt und kaum vernehmbar auf mögliche Ursachen eingeht, bestätigt er schnell die Vermutung, dass am Wahlsonntag in vier Wochen um 18.01 Uhr die Messer herausgeholt werden, sollte das Fiasko so ausfallen, wie es sich derzeit abzeichnet. In den Hinterköpfen sind die Punkte mit den Schuldzuweisungen längst zurechtgelegt, ist minutiös gespeichert, wer wann was falsch gemacht hat.

Noch will das aber keiner wahrhaben. Und dazu werden die Trendwenden aus den 2017er Landtagswahlen in den jeweils allerletzten Wochen herangezogen: Sowohl im Saarland als auch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sei die Union als Zweitplatzierte in die heiße Phase gestartet und habe dann doch jeweils das Rennen gemacht. Ministerpräsident und Spitzenkandidat Markus Söder spricht hier jeweils vom „Debakel“ für die Demoskopen, das er sich in Bayern auch wünscht. Sprich: Zehn Prozentpunkte mehr am Wahltag drauf, und er wäre noch einmal mit einem (weiß-)blauen Auge davongekommen.

Dafür dreht er nun an der Themenschraube und verschärft den Kurs sowohl gegen die Grünen als auch gegen die AfD. Er mischt das Eintreten bayerischer AfD-Politiker für frei verfügbare Waffen und das angebliche Verständnis für Selbstjustiz zu einer wahnwitzigen Gefahr für den Freistaat zusammen. CSU-Chef Horst Seehofer will da nicht nachstehen und prägt nun in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa den Begriff von der „staatszersetzenden“ AfD.

Das Wahlprogramm, das im Rahmen des Parteitages vorgestellt werden soll, dürfte reichlich zugespitzt ausfallen; jedenfalls wollen Generalsekretär Markus Blume und sein Team daran bis kurz vor Eröffnung des Parteitages schärfen und schleifen. Anders als bei anderen Parteien wird es kein tagelanges Ringen um den siebten Spiegelstrich auf der 23. Seite geben, keine stundenlangen Aussprachen. Morgens Eröffnung, mittags mitreißende Reden, nachmittags fertig. So ist das Konzept für das Treffen der tausend Delegierten, die auf diesem „Mobilisierungs- und Kampfparteitag“ (Blume) darauf eingeschworen werden sollen, in den letzten vier Wochen in jeder Stadt, jedem Dorf, jeder Straße noch einmal alles zu geben.

Es gibt die Vergleiche mit dem Vorfeld des Fiaskos vor zehn Jahren, als die CSU in eine Koalition mit der FDP gehen musste, weil es für Stoiber-Nachfolger Günther Beckstein nicht zur absoluten Mehrheit reichte. Damals sei das schon Wochen vorher auch in den Bierzelten an der Stimmung spürbar gewesen, heute herrsche dagegen beste Laune, berichten Wahlkämpfer. Doch mit den Leistungen von Beckstein persönlich waren in den damaligen Umfragen immerhin noch 55 Prozent der Bayern zufrieden, mit den Leistungen von Seehofer-Nachfolger Söder sind es momentan lediglich 42 Prozent. 44 sagen, er sei kein guter Ministerpräsident.

Jammern und Streit im eigenen Lager, darüber sind sich die CSU-Strategen einig, hat in den zurückliegenden zwei Jahren viel Zustimmung gekostet. Das soll es bis zum Wahltag nicht mehr geben. Hinzu kommt aber ein Rollentausch. Bislang gefiel sich die CSU darin, mehr oder weniger regelmäßig schlagzeilenträchtig zu provozieren und die anderen Parteien damit vor sich herzutreiben. Dieses Muster hat sich die AfD perfekt abgeguckt – und nun gehört die CSU zu den von der AfD Getriebenen.

Die größte Hoffnung für die CSU liegt darin, dass vier Wochen vor der Wahl noch rund die Hälfte unentschlossen ist. Auf die will die Partei in Bund und Land nun besonders einwirken. Als Bundesinnenminister will der Parteichef krachend seriös an Lösungen arbeiten. Mit Rückführungsabkommen mit Spanien, Griechenland, Italien etwa, oder mit dem Gipfel für mehr bezahlbaren Wohnraum. Deshalb ist auch unwahrscheinlich, dass er sich eine Lösung der Regierungskrise um Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen von den Koalitionspartnern aufzwingen lässt.

Doch erfahrene Wahlkämpfer wissen auch, dass mehr als acht Prozentpunkte über dem Bundestrend für die Union in Bayern kaum drin sind. Die Unionsmarke von derzeit nur 29 Prozent macht deshalb zusätzlich nervös. Und sie verweist aus CSU-Sicht auf weitere mögliche Schuldige. Am 14. Oktober entscheidet sich somit nicht nur das Schicksal Söders. Sondern auch Seehofers. Und wie es mit der CSU und Merkel weitergeht.

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