Mögliche Kandidatur bei Hessen-Landtagswahl Grüne und Union gegen Doppelrolle von Nancy Faeser

Berlin/Wiesbaden · Ist der Hessen-Wahlkampf mit den Aufgaben einer Bundesinnenministerin in Krisenzeiten vereinbar? Nancy Faeser will diesen Spagat allem Anschein nach wagen. Das ruft Kritiker auf den Plan. Vor allem aus den Reihen der Parteien, die sich in Hessen gute Chancen ausrechnen.

Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern und Heimat, spricht während eines Pressestatements (Archivfoto).

Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern und Heimat, spricht während eines Pressestatements (Archivfoto).

Foto: dpa/Michael Kappeler

Wenige Tage vor der Entscheidung über die SPD-Spitzenkandidatur in Hessen nimmt die Debatte über eine mögliche Doppelrolle von Bundesinnenministerin Nancy Faeser Fahrt auf. Die SPD-Politikerin selbst hat auf die Frage, ob sie bei der Landtagswahl im Herbst dieses Jahres antreten wird, in den vergangenen Monaten zwar eine klare Antwort vermieden. In Koalitionskreisen geht man dennoch schon etwas länger davon aus, dass sie in ihrem Heimatbundesland kandidieren und zumindest während des Wahlkampfes erst einmal Bundesinnenministerin bleiben wird.

An diesem Freitag soll sich Faeser, die auch hessische SPD-Vorsitzende ist, in Friedewald beim Hessen-Gipfel der SPD zu ihren Plänen erklären - auch zu einer möglichen Spitzenkandidatur zur Landtagswahl am 8. Oktober. Vor allem bei Politikern der Parteien, die sich in Hessen ebenfalls Chancen auf die Staatskanzlei ausrechnen, kommt eine mögliche Doppelrolle nicht gut an. Nachdem die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte, Faeser habe sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) darauf verständigt, dass sie im Fall einer SPD-Spitzenkandidatur in Hessen erst einmal Bundesinnenministerin bleiben werde, hagelt es Kritik.

„In diesen herausfordernden Zeiten, wo in Europa Krieg herrscht, wo die Sicherheitsbehörden mit Reichsbürgern, Rechtsextremisten und vereitelten Terroranschlägen alle Hände voll zu tun haben, wäre es unverantwortlich, neben einem Wahlkampf auch das Innenministerium führen zu wollen“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), am Dienstag. Und: „Deshalb fordere ich sie, wenn sie Spitzenkandidatin wird, zum Rücktritt auf.“

In Hessen sind die Sozialdemokraten seit 1999 in der Opposition. Die Christdemokraten gehen mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Boris Rhein ins Rennen. Für die seit 2014 mitregierenden Grünen kandidiert Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir.

Der Obmann der Grünen im Innenausschuss des Bundestages, Marcel Emmerich, sagt, aus seiner Sicht sei es „fast nicht zu schaffen, diese beiden Aufgaben parallel auszuüben“. Zwar wäre Faeser nicht die erste Politikerin, die aus einem Bundesministerium in den Landtagswahlkampf startet, allerdings stünden gerade im Bundesinnenministerium aktuell viele große Aufgaben an - unter anderem im Bevölkerungsschutz.

FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstag), das Bundesinnenministerium sei „keine geeignete Wahlkampfbühne in diesen ernsten Zeiten“. Doch es gibt auch führende FDP-Politiker, die Faeser zutrauen, dass sie beides unter einen Hut bekommt.

Das Bundesinnenministerium sei für Faeser zwar auf der einen Seite, „eine Plattform, die sie nutzt“, um ihre Bekanntheit zu steigern, meint CDU-Politiker Throm. Die SPD-Politikerin stehe durch das Amt aber auch in der Kritik, „da Deutschland in Migrationsfragen jetzt innerhalb der Europäischen Union isoliert ist“.

Tatsächlich ist Migration und Flucht zurzeit ein Themenfeld, das für eine Wahlkämpferin eher problembehaftet ist. Denn die Bereitschaft zur Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine - mehrheitlich Frauen und Kinder - ist zwar laut Umfragen nach wie vor hoch. Kritik aus der Union und aus einigen Ländern gibt es aber wegen der zuletzt gestiegenen Zahl von Asylbewerbern und dem von der Ampel-Regierung noch nicht eingelösten Versprechen, Fortschritte bei der Rückführung von Ausreisepflichtigen zu erzielen.

Umso besser für Faeser, könnte man meinen, dass hier auch die Länder einen Beitrag zu leisten haben, und dass von diesem Mittwoch an ein FDP-Politiker mit in der Verantwortung steht. Zum Amtsantritt des neuen Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen, Joachim Stamp, erklärt die Ministerin: „Es geht uns um ein Gesamtkonzept: um wirtschaftliche Zusammenarbeit und Qualifizierung für den Arbeitsmarkt auf der einen Seite, aber auch konsequente Rückführungen durch die dafür verantwortlichen Bundesländer auf der anderen Seite. Dafür sind Migrationsabkommen ein wichtiger Baustein.“

Der Sprung aus Berlin an die Spitze einer Landesregierung ist den beiden SPD-Politikerinnen und ehemaligen Bundesfamilienministerinnen Manuela Schwesig und Franziska Giffey gelungen. Auch in Hessen wäre das kein Novum. Mit dem politischen Gewicht als Bundesumweltminister gelang es Walter Wallmann 1987, erster CDU-Ministerpräsident von Hessen zu werden. Zuvor war die Staatskanzlei jahrzehntelang fest in der Hand der Sozialdemokraten gewesen. Könnte der SPD 2023 womöglich ein ähnlicher Coup gelingen?

Der damalige CDU-Landesvorsitzende Wallmann blieb als Bundesumweltminister im Amt, bis er zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Anschließend führte er bis 1991 eine schwarz-gelbe Koalition - und verlor gegen den Sozialdemokraten Hans Eichel. 1995 versuchte die Hessen-CDU erneut, mit Rückenwind aus dem Bundeskabinett in die Staatskanzlei in Wiesbaden einzuziehen. Bundesinnenminister Manfred Kanther verlor jedoch - und blieb Bundesinnenminister.

Selbst mit einer prominenten Spitzenkandidatin wäre ein SPD-Sieg in Hessen keineswegs ausgemacht: Bei einer Wahlumfrage im vergangenen Herbst kam die CDU auf 27 Prozent der Stimmen, Grüne und SPD landeten bei jeweils 22 Prozent. Es bahnt sich also ein Dreikampf an, vermutlich wird für eine Regierungsbildung eine Koalition nötig. Sollte die SPD dann nur Juniorpartnerin werden, ist fraglich, ob Faeser auch als Vize-Ministerpräsidentin nach Hessen zurückkehrt. Dass sie bei einer Wahlniederlage wieder auf der Oppositionsbank im Landtag Platz nimmt - das hält man in Wiesbaden für kaum vorstellbar.

(mzu/dpa)
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