Landtagswahlen am Sonntag Südwest-CDU vor neuem Fiasko

Analyse | Berlin · Warum die Landtagswahlen am Sonntag in Baden-Württemberg nicht nur den Amtsinhaber Winfried Kretschmann von den Grünen bestätigen, sondern auch die Ambitionen der Union im Herbst auf das Kanzleramt schwächen können.

 Winfried Kretschmann Anfang März bei einer Pressekonferenz in Stuttgart.

Winfried Kretschmann Anfang März bei einer Pressekonferenz in Stuttgart.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Drei Tage vor der Wahl wünscht sich die Südwest-CDU ihr Problem von 2019 zurück. Damals ging es nur um die Frage, ob Landesparteichef Thomas Strobl oder Landeskultusministerin Susanne Eisenmann die Grünen besiegen und die Christdemokraten auf ihren angestammten Platz in der Villa Reitzenstein, dem Amtssitz des Regierungschefs, zurückführen kann. Damals setzte sich die zupackende Ministerin durch. Inzwischen fällt sie durch und es droht sogar eine derart harte Landung, dass Armin Laschets Ambitionen auf das Kanzleramt ernsthaft in Gefahr geraten.

Dabei hatte es für die Christdemokraten nicht schlecht begonnen: Sie setzten auf die direkte Wähleransprache, die ihren Parteifreunden auch in NRW und Schleswig-Holstein schon den Erfolg gebracht hatten. Und die Grünen sahen sich plötzlich durch eine konkurrierende „Klimaliste“ auf ihrem ureigensten Gebiet herausgefordert, schienen wertvolle Prozentpunkte im Kampf um Platz eins zu verlieren.

Doch dann kam mit Corona nicht nur ein völlig anderer Wahlkampf, sondern auch ein Trend, der Amtsinhaber in der Krise begünstigt. Wieder sah sich die CDU einem drohenden Absturz gegenüber. Und das ist sie schon fast gewohnt. Noch 2006 lagen die Christdemokraten bei satten 44 Prozent, blieben die Grünen unter zwölf. Bei der vorletzten Wahl schien es zwar knapp für Regierungschef Stefan  Mappus zu werden. Doch auf den letzten Metern änderte die Atomkatastrophe von Fukushima die Lage im Ländle. Die Menschen fühlten sich direkt betroffen: Schließlich lagen mit Neckarwestheim, Philippsburg und Obrigheim gleich drei Meiler in der Nähe. Mappus war für die Laufzeitverlängerung eingetreten. Kurz vor den Wahlen drehte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Kurs um 180 Grad: Moratorium, dann Laufzeitverkürzung.

Das könnte dazu beigetragen haben, dass die Union im März 2011 doch noch mit 39 Prozent nach Hause ging. Doch die Grünen zogen auf den letzten Metern sogar an der SPD vorbei und errangen mit 24 Prozent ihr erstes Ministerpräsidentenamt. Die Union war sich sicher, das bei der nächsten Wahl korrigieren zu können. Sie lag sechs Prozentpunkte vor den Grünen. Doch nach dem aufwühlenden Jahr der Flüchtlingskrise drehte die große Popularität von Regierungschef Winfried Kretschmann das Verhältnis - und ersetzte den dezimierten Koalitionspartner SPD durch die CDU.

Wiewohl Eisenmann ihrem Namen alle Ehre zu machen versuchte und sich als 56-jährige Frau mit unerschöpflicher Kraft gegen einen 72-jährigen Regierenden mit Auslaufoption inszenierte: Näher als drei Prozentpunkte kam sie auch vor Corona-Zeiten nicht an den Amtsinhaber heran. In den persönlichen Werten schon gar nicht. Hier hat sie sogar das Kunststück fertiggebracht, dass nur 29 Prozent der eigenen Unionsanhänger hinter ihr stehen, aber 59 Prozent hinter dem politischen Gegner Kretschmann.

Dabei gab es erneut ein bemerkenswertes Manöver der Kanzlerin, das dem Vorgehen von 2011 ähnelt. Über Monate hielt sie den Daumen auf allen Öffnungsschritten, verschärfte den Kurs sogar noch auf das Ziel des 35er Inzidenzwertes vor jeder Lockerung - und kurz vor den Wahlen in Baden-Württemberg lässt sie plötzlich Öffnungsoptionen bis zum Wert von 100 zu. Ganz so, als hätte Eisenmann ihr ins Gewissen geredet, die schon Wochen zuvor den Schulbetrieb normalisieren wollte.

Sowohl im Umfeld der Kanzlerin als auch in der Südwest-CDU wird ein solcher Zusammenhang zurückgewiesen. Und angesichts der Maskenaffäre, in die mit Nikolas Löbe auch ein baden-württembergischer CDU-Politiker verstrickt ist, sind die Unionswerte wieder ins Rutschen gekommen. Der Absturz der CDU von 28 auf nur noch 24 Prozent bei gleichzeitigem Anstieg der Grünen auf 35 hat alle Hoffnungen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zunichte gemacht.

Schon vor Wochen hatten sich CDU und CSU darauf verständigt, dass der Ausgang der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz keine Auswirkungen auf die Parteichefs haben sollte. Laschet hatte zwar auch im Online-Wahlkampf mitgemischt, war aber zu kurz im Amt, um für die Bundes- wie Landesthemen in Mithaftung genommen zu werden. Zudem wäre die Erfolgs- oder Misserfolgszuweisung auch zu kompliziert geworden, da Eisenmann zu den Fans von CSU-Chef Markus Söder gezählt wird.

Und doch hat der Ausgang der Landtagswahlen viel mit der Stimmung im Jahr der Bundestagswahl zu tun. 2017 rollte zu Jahresbeginn der Schulz-Zug, schien der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz tatsächlich Chancen zu haben, Merkel abzulösen. Doch dann manövrierte Annegret Kramp-Karrenbauer mit einem überraschenden Wahlsieg im Saarland den Zug aufs Abstellgleis. Umgekehrtes droht nun Laschet. Wenn die Wahl am Sonntag wie die letzte Umfrage ausgeht, hat Kretschmann die Wahl, das Bündnis mit der CDU fortzusetzen oder aber mit SPD und FDP eine Ampelkoalition zu bilden. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner kann sich kaum ein schöneres Signal aus Stuttgart vorstellen als die Botschaft: „Wir können die CDU schlagen.“

Zusammen mit einer bestätigten Ampel in Rheinland-Pfalz könnte eine weitere in Baden-Württemberg die Stimmung entstehen lassen, dass da Bündnisse jenseits der Union möglich sind, bei denen die Linken keine Rolle spielen. Die Karten würden neu gemischt.

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