Michael Kretschmer vor der Sachsen-Wahl „Kretsche“ muss kämpfen – und das kann er
Analyse | Dittmannsdorf · CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer hat eine Mission. Am 1. September wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt und die AfD ist stark wie nie. Also hält er wie kein anderer dagegen. Beharrlich und meist mit Geduld.
Reine Heimspiele gibt es für Michael Kretschmer eigentlich nicht mehr. Auch, wenn man zunächst einen anderen Eindruck haben kann auf Gut Dittmannsdorf, nur 20 Minuten entfernt von Kretschmers Heimatstadt Görlitz und der polnischen Grenze.
Alles ist gediegen und aufwendig saniert, Miele-Chef Reinhard Zinkann hat in nur vier Jahren das alte Familienanwesen zu einem Stück Vorzeige-Sachsen gemacht. Wie im Bilderbuch. Der Freistaat kann so schön sein. „Kretschmer grillt“, heißt die Veranstaltung an einem Samstagabend. Das Bier kostet nur zwei Euro, Bratwurst mit Kartoffelsalat gibt es umsonst obendrauf. Viele Sympathisanten sind gekommen. Aber eben nicht nur die.
Michael Kretschmer, 49, evangelisch, Vater von zwei Söhnen, Diplom-Wirtschaftsingenieur. Vor allem aber ist der frühere Bundestagsabgeordnete seit 2017 Sachsens Ministerpräsident von der CDU, damals übernahm er das Amt von Stanislaw Tillich. Kretschmer - ein Mann, der kämpfen kann, der kämpfen muss. Und einer, dem man dies auch an diesem Abend ansieht.
Müde wirkt er auf Gut Dittmannsdorf, der Bart ist stoppeliger geworden, die Augenringe sind unübersehbar. Gutsherr Zinkann begrüßt ihn als „guten Freund“ und spricht von einer „Richtungsentscheidung“, die bei der Landtagswahl am 1. September anstehe. Das trifft es ziemlich genau. Driftet Sachsen diesmal noch weiter oder sogar ganz nach rechts?
Schon 2019 schaffte Kretschmer es, die Union vor der AfD ins Ziel zu bringen. Schon damals war das ein Kraftakt. Noch heute erzählt man in der Oberlausitz mit Respekt davon, dass „der Kretsche ja in jedem Dorf gewesen ist“. Nun muss er die Wahlkampftortur wiederholen. Kürzlich sahen Umfragen die AfD vorne, jetzt hat sich das Blatt wieder gewendet. Vier bis fünf Termine am Tag macht der Görlitzer. Reden, überzeugen, den „sächsischen Weg“ beschwören, der nicht kaputt gemacht werden dürfe. Zwischendurch zur Erholung eine Zigarette, abends ein Bier.
In Berlin hat man sich eine Zeitlang Sorgen um Kretschmer gemacht. Parteichef Friedrich Merz sogar höchstpersönlich. Wegen der vielen Angriffe nicht allein gegen seine Person, sondern gegen seine Familie. Die Rechten marschierten schon vor seiner Haustür auf. Die Bundes-CDU lässt Kretschmer gewähren, weil sie um die komplizierte Lage in Sachsen weiß. Also kann er auch querbürsten, etwa bei den Themen Russland und Ukraine-Hilfen. Wobei, wer sich mal länger mit Kretschmer unterhalten hat merkt rasch, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen ist. Er kann aus der Haut fahren, hat auch Spaß daran, seinem Gegenüber Kontra zu geben. Dann erlebt man den Wutbürger Kretschmer. Aber wütend sind ja viele in seinem Land. Auf die Ampel, auf die „etablierten Parteien“ und auf alles Mögliche. Genauso wütend zu sein, könnte im Wahlkampf helfen.
Gleichwohl versucht Kretschmer inzwischen, Berlin stärker außen vor zu lassen. Er spricht jetzt noch mehr über Sachsen, über die Erfolge seiner Politik und über „das Verbindende“ im Land. Parteifreunde in Berlin sind sich sicher, dass es Kretschmer nicht um sich selber geht, nicht nur um Amt und Würden. Sondern darum, Sachsen noch einmal zu retten. Das ist seine Mission. Gelingt ihm das, zur Not mit Wagenknechts BSW, die CDU hätte einen neuen Helden und Friedrich Merz könnte sich in Kretschmers Erfolg sonnen.
In Dittmannsdorf zieht der Ministerpräsident also nach seiner Rede von Biertisch zu Biertisch. Auch die ihm Wohlgesonnenen haben durchaus kritische Fragen. Und dann passiert halt das, was immer passiert, wenn der Regierungschef auftritt: Irgendein AfD’ler stellt ihn, im schlimmsten Fall einer von den Freien Sachsen. Warum er nicht mit der AfD koalieren wolle, um das Land zu retten, will der Mann wissen. „Das sind Rechtsextreme. Der Chrupalla und die anderen“, wehrt Kretschmer ab. Und er meine nicht die Wähler, ergänzt er. In Sachen Stopp der Migration passiere nichts, hört er weiter. „Doch“, entgegnet Kretschmer und erläutert beharrlich, was alles getan wird, um den Zustrom zu begrenzen.
Das Heimspiel wird für ihn mal wieder zum kurzen Auswärtsspiel. Aber er kontert gut und konsequent. Mission erfüllt? Wohl nicht. Aber er hinterlässt Eindruck beim Fragesteller. Wenigstens etwas.