Vorerst kein Abriss des Bahnhofs-Südflügels Landesregierung geht auf "S-21"-Gegner zu

Berlin (RPO). Im Streit um das milliardenteure Bahnprojekt "Stuttgart 21" ist die baden-württembergische Landesregierung um Entspannung bemüht. Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) sagte am Montagabend, der Südflügel des Bahnhofs werde zunächst nicht abgerissen.

Zehn Fakten zu Stuttgart 21
Infos

Zehn Fakten zu Stuttgart 21

Infos
Foto: dapd

"Wir werden ihn so bestehen lassen. Und ich glaube, das ist ein Signal." Zugleich lehnte sie einen Baustopp ab. Für die Grünen ist das aber Vorbedingung für Gespräche mit den Gegnern des Projekts. Am Abend hatten wieder Zehntausende Menschen im Stuttgarter Schlossgarten friedlich gegen den Umbau des Kopfbahnhofes in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof protestiert. Die Polizei sprach von 25.000 Teilnehmern, die Veranstalter von rund 55.000. Der Innenausschuss des Stuttgarter Landtages befasst sich an diesem Dienstag mit dem Polizeieinsatz gegen Demonstranten am vergangenen Donnerstag.

Vor Beratungen des baden-württembergischen Landtages über den gewaltsamen Polizeieinsatz zum Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21" hat der Grünen-Politiker Boris Palmer den von der Landesregierung angekündigten Teil-Stopp der Abrissarbeiten begrüßt. "Das ist jetzt endlich mal ein Schritt zu auf die Menschen, die Stuttgart 21 ablehnen", sagte der Tübinger Oberbürgermeister Palmer am Dienstag dem RBB-Sender Radio eins.

Westerwelle will Weiterbau

FDP-Chef Guido Westerwelle plädiert für den Weiterbau des Bahnprojekts "Stuttgart 21". "Es ist wichtig, dass Deutschland keine Rien-ne-va-plus-Republik wird, in der nichts mehr geht. Ein Land, in dem keine Hochspannungsleitungen, Straßen, Flughäfen oder Bahnhöfe mehr gebaut werden, verliert seinen Wohlstand", sagte der Bundesaußenminister am Dienstag im Hessischen Rundfunk. Der geplante Bahnhof sei mit riesigen Mehrheiten in Parlamenten beschlossen und außerdem von Gerichten genehmigt worden.

"Auch wenn mehrere zehntausend Menschen auf die Straße gehen, ist nicht gesagt, dass das auch die Mehrheit der Bevölkerung ist", sagte Westerwelle. Es sei das Recht der Demonstranten, friedlich zu demonstrieren, aber auch die Pflicht des Rechtsstaates, parlamentarische Entscheidungen durchzusetzen.

Schwarz-Gelb will unabhängigen Schlichter

Politiker der schwarz-gelben Koalition in Berlin fordern die Gegner des Bahnprojekts "Stuttgart 21" derweil auf, den Weg für eine Schlichtung ohne Vorbedingungen freizumachen. Mit einem unabhängigen Vermittler bestünde die "Chance, die Diskussion wieder auf eine sachliche Ebene zu heben und einen konstruktiven Dialog in Gang zu bringen", sagte der baden-württembergische CDU-Bundestagsabgeordnete und wirtschaftspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Joachim Pfeiffer. Er fügte hinzu: "Klar ist aber, dass es keinen Baustopp gibt."

Auch FDP-Fraktionsvize Patrick Döring unterstrich, dass eine Mediation nur Sinn mache, "wenn alle bereit sind ohne Vorbedingungen einen solchen Weg zu gehen". Döring unterstrich, dass er den ehemaligen Bundespräsidenten-Kandidaten Joachim Gauck als Vermittler für eine "sehr gute Idee" gehalten hätte. Nach dessen Absage seien daher nun "alle gut beraten, einen Mediator von der Qualität, dem Ansehen und der Erfahrung eines Joachim Gauck zu suchen."

Trittin: Baustopp ist Bedingung für Schlichter

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte als Bedingung für einen Schlichter einen Baustopp. "Ehrliche und glaubwürdige Vermittlung kann und darf sich nicht dem Ziel und Interesse einer der beteiligten Konfliktparteien unterordnen, sondern muss ergebnisoffen sein", sagte Trittin gegenüber unserer Redaktion. Er fügte hinzu: "Das heißt, ohne Baustopp in Stuttgart wird jeder Vermittler nur zum Feigenblatt der Befürworter. Diese Klarstellung muss jeder treffen, der diese schwierige Aufgabe übernehmen will."

Grünen-Parteichefin Claudia Roth wies die Kritik von Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) an den Gegnern des Bahnhofsprojekts in scharfem Ton zurück. "Goll beschimpft die, die ihr Recht in Anspruch nehmen und gegen das Milliardengrab Stuttgart 21 demonstrieren. Aber zu der brachialen Polizeigewalt gegen die Demonstranten höre ich von der FDP nur ein lautes Schweigen. Das zeigt die ganze Verkommenheit der FDP, die mit dem liberalen Gedankengut gar nichts mehr zu tun haben will", sagte Roth. Goll hatte den Protestierern Bequemlichkeit vorgeworfen und erklärt, die Menschen seien "in zunehmender Zahl sehr unduldsam und wohlstandsverwöhnt".

Verständnis für die Kritik vieler Bürger an der Umsetzung des Bahnhofs-Großprojekts äußerte unterdessen der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). "Ganz sicher müssen wir lernen, dass die Umsetzung solcher Großprojekte, auch wenn sie demokratisch legitimiert sind, ganz anders und mit mehr Transparenz begleitet werden muss", sagte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann gegenüber unserer Redaktion. "Die Bürger wollen ernst genommen werden und verstehen, was passiert, welche Auswirkungen es für sie persönlich hat", sagte Driftmann. Er fügte hinzu: "Die Entwicklung um Stuttgart 21 macht mir große Sorgen - denn Deutschland wird auch in Zukunft darauf angewiesen sein, große Infrastrukturinvestitionen durchzuführen."

"Stuttgart 21 kann Merkels Schicksalsfrage werden"

Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers und CDU-Experten Gerd Langguth könnte der Streit über das Bahnprojekt zusammen mit der Landtagswahl in Baden-Württemberg im März zum Testfall für die Koalition in Berlin werden. "Die baden-württembergische Wahl kann zur Schicksalswahl von Angela Merkel werden", sagte Langguth. "Sollten die Wahlen dort verloren werden, wird sich unweigerlich die Frage der Führungskunst der Kanzlerin stellen." Auch eine Koalitionskrise schließt der Professor an der Universität Bonn nicht aus.

Merkel hatte ihre Kanzlerschaft mit dem Projekt verbunden, indem sie sich auch auf die Seite der Befürworter des umstrittenen Bahnhofsneubaus stellte und die Landtagswahl in Baden-Württemberg zur "Volksabstimmung über Stuttgart 21" erklärte.

(apd/felt)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort