Landesrechnungshof soll prüfen Landesregierung vergibt viele Gutachten ohne Ausschreibung

Düsseldorf · Die Landesregierung vergibt offenbar ungewöhnlich viele Gutachten-Aufträge freihändig - offenbar die Hälfte ohne Ausschreibung oder sonstigen Wettbewerb. Die Grünen rufen den Landesrechnungshof an.

 Die Staatskanzlei in Düsseldorf.

Die Staatskanzlei in Düsseldorf.

Foto: Jana Bauch (jaba)

Die Gutachten-Vergabe-Praxis der Landesregierung wirft neue Fragen auf.  Der Grünen-Abgeordnete Horst Becker hat den Landesrechnungshof um Prüfung gebeten. In einem Brief an die Rechnungsprüfer, der unserer Redaktion vorliegt, schreibt Becker: „In der aktuellen 17. Legislaturperiode hat die derzeit amtierende schwarz-gelbe Landesregierung auffällig viele Gutachten und Aufträge freihändig vergeben. Ich bitte Sie, diesen Umstand im Rahmen der Prüfungen des Landesrechnungshofes NRW zu berücksichtigen.“

Nach Beckers Berechnungen wurde „fast die Hälfte der Gutachten von Schwarz-Gelb ohne Ausschreibung oder sonstigen Wettbewerb vergeben“, wie der Oppositionspolitiker erklärt, „ich kann mir nicht vorstellen, dass das mit den Vergaberichtlinien in Einklang steht.“

Die schwarz-gelbe Landesregierung gab seit dem Regierungswechsel im Sommer 2017 bis Ende 2018 im Schnitt mehr als 900.000 Euro pro Monat für externe Gutachten aus. Das sind monatlich rund 200.000 Euro mehr, als die rot-grüne Vorgängerregierung in ihrer Anfangszeit ausgegeben hat. Die Anzahl der jeweils vergebenen Gutachten ist vergleichbar, aber die rot-grünen Gutachten waren im Schnitt fast 30 Prozent günstiger.

Becker nahm eine entsprechende Berichterstattung unserer Redaktion zum Anlass für weitere Fragen zum Thema an die Regierung. Die Antworten liegen nun vor. „Demnach wurden 46 Prozent  der Gutachten freihändig, also ohne jeglichen Wettbewerb vergeben“, fasst Becker das Zahlenwerk zusammen. 26 Prozent wurden über einen eingeschränkten Wettbewerb vergeben „und nur 22 Prozent qua Ausschreibung, bei der sich alle Interessenten im Markt um den Auftrag bewerben konnten.“

Becker war unter der Vorgängerregierung als Staatssekretär im Umweltministerium selbst für die Vergabe etlicher Gutachten zuständig. Seine Erfahrung: „Die freihändige Vergabe ist einem Ministerium rechtlich nur in sehr seltenen Ausnahmefällen möglich.“

Die rechtlichen Vorgaben für Auftragsvergaben der öffentlichen Hand sind äußerst kompliziert. Fast jeder Einzelfall bedarf einer gesonderten Prüfung. Aber die Grundmelodie des Vergaberechtes ist klar: „Im Normalfall müssen Aufträge der öffentlichen Hand ausgeschrieben werden“, sagt der Düsseldorfer Staatsrechtler Martin Morlok und erklärt, was der Gesetzgeber sich dabei gedacht hat: „Zum einen, um Günstlingswirtschaft zu verhindern, und zum anderen, um den Steuerzahler zu schützen.“

Denn je mehr potenzielle Auftragnehmer um einen Auftrag der öffentlichen Hand ringen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass der Steuerzahler ausgerechnet einen besonders teuren Auftragnehmer bezahlen muss. Auch die renommierte Vergaberechtsexpertin Ute Jasper von der Düsseldorfer Kanzlei Heuking äußert sich klar: „Eigentlich muss das Land alle Aufträge in den Wettbewerb geben.“

Der Landesrechnungshof wollte sich gestern noch nicht zu dem Vorgang äußern. Die Landesregierung begründet die jeweiligen Vergabekriterien in einer gut 20-seitigen Tabelle. Zu Gutachten, die freihändig vergeben wurden, heißt es dort zum Beispiel „Die Kanzlei war mit der Betreuung (...) bereits befasst und konnte daher unverzüglich mit der Beratung beginnen“. Andere Erklärungen bestehen aus nur einem Wort wie „Alleinstellungsmerkmal“, „Dringlichkeit“ oder „Preis“. Becker: „Das genügt nicht als Begründung für eine freihändige Vergabe.“ Er bezweifelt nicht, dass einzelne Aufträge auch zu recht freihändig vergeben wurden. „Aber ich bezweifle, dass alle 104 Gutachten zu recht freihändig vergeben wurden.“

Wegen eines Vergabeverfahrens öffentlich in die Kritik geraten ist vor wenigen Tagen NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Nach Recherchen des „Kölner Stadtanzeigers“ hat ihr Ministerium ein 600.000 Euro schweres Digitalisierungsprojekt an Grundschulen freihändig an eine parteinahe Unternehmerin vergeben. Deren Geschäftsführerin ist Mitglied im Wirtschaftsforum der FDP und hat früher auch Geld an die FDP gespendet. Das Ministerium erklärte, die Firma der Unternehmerin sei der einzig in Frage kommende Auftragnehmer gewesen. Die freihändige Vergabe sei korrekt gewesen, weil das Auftragsvolumen unterhalb eines ausschreibungspflichtigen Schwellenwertes gelegen habe.

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