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"Land der Hoffnung" Deutschland - die USA Europas?

Düsseldorf · Viele Jahre lang waren die USA das Land der Hoffnung und global führende Macht - zumindest in Europa übernimmt Deutschland zunehmend eine solche Rolle. Aber es gibt auch große Unterschiede zu Washington.

Viele Menschen heißen die ankommenden Flüchtlinge in Deutschland willkommen.

Viele Menschen heißen die ankommenden Flüchtlinge in Deutschland willkommen.

Foto: ap

Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen wir Deutschen uns als Paria in der Welt, die Zeiten haben sich drastisch geändert: "Deutschland, Deutschland" riefen Flüchtlinge in Budapest und marschierten zu Fuß Richtung Norden. "Danke Deutschland", hatten am Freitag in Essen Einwanderer auf eine schwarz-rot-goldene Fahne gemalt, als sie Bundeskanzlerin Merkel bei einer Wahlkampfrede begrüßten. Es wirkt ein bisschen so, wie amerikanische Soldaten 1945 in Frankreich begrüßt wurden, als sie das Land vom deutschen Faschismus befreit hatten. Und beim Ringen um die Zukunft der Ukraine zeigt Deutschland auch eine neue Rolle: Russlands Präsident Wladimir Putin handelte das Abkommen von Minsk vorrangig mit Angela Merkel (und Frankreichs Staatspräsident François Hollande aus) - US-Präsident Barack Obama hat die Eindämmung von Moskau an Berlin delegiert. Der Trend ist klar: Deutschland hat in seiner Region teilweise eine Vorbild- und Führungsfunktion übernommen wie sie früher die USA auf globaler Ebene gehabt haben.

In kein Land sind in den vergangenen Jahrzehnten mehr Einwanderer geströmt als in die Vereinigten Staaten von Amerika - jetzt spielt die Bundesrepublik diese Rolle in Europa und im Mittelmeerraum: Mehr als jeder zweite Flüchtling aus dem Nahen Osten will nach Deutschland, seit mehr als fünf Jahren strömen Studenten und junge Akademiker aus Osteuropa und den Krisenstaaten Südeuropas nach Berlin, München oder Köln.

Jahrzehntelang galt New York als innovativste und vielfältigste Stadt des Globus - jetzt hat Berlin in Europa eine ähnliche Rolle übernommen. In wohl nur wenige Städte außerhalb Israels zieht es so viele junge Juden wie in die frühere Reichhauptstadt - lange undenkbar. Und auch dank vieler Zuwanderer sowie wegen der niedrigen Mieten gilt Berlin als aufstrebendste Stadt Europas für Start-Ups für manche Experten ist die Metropole mit 3,5 Millionen Einwohnern damit das wichtigste Gegenstück zur High-Tech-Region Silicon Valley bei San Francisco.

Natürlich ist der ökonomische Erfolg Basis der Erfolgsgeschichten auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Arbeitslosigkeit hierzulande liegt mit 6,4 Prozent niedriger als in fast jedem anderen Land Europas, das Bildungssystem funktioniert halbwegs, die Sozialleistungen sind relativ hoch. Kein Wunder, dass es viele Hunderttausend Menschen nach Deutschland zieht, während sich auch die USA zur Jobmaschine entwickelt haben: Die Arbeitslosigkeit liegt bei 5,5 Prozent, das Wirtschaftswachstum ist höher als drei Prozent - das lockt Menschen.

Auf den ersten Blick haben die USA einen riesigen Vorsprung bei der Einwanderungspolitik - in der Praxis gibt es aber ähnliche Herausforderungen. Beim Anlocken junger Talente muss Deutschland jedenfalls noch aufholen. Es ist nur ein erster Schritt, dass zwölf Prozent der hiesigen Studenten aus anderen Ländern kommen.

Düsseldorf: Flüchtlinge kommen am Hauptbahnhof an
8 Bilder

Düsseldorf: Flüchtlinge kommen am Hauptbahnhof an

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Foto: Paula Elsholz

Die US-Eliteunis wie Harvard oder Stanford locken mit Ausländeranteilen von oft mehr als 20 Prozent Zehntausende der vielversprechendsten Talente rund um den Globus an. Deren Absolventen oder auch deren Studienabbrecher spielen dann gerade in der High-Tech-Industrie eine tragende Rolle: Die halbe Führungsetage von Google besteht aus Immigranten. "Ohne diese sehr qualifizierten Einwanderer wäre das Silicon Valley nicht denkbar - ein Vorbild für Deutschland." Das meint Claus Gramckow, Politikberater und Repräsentant der Friedrich Naumann-Stiftung in Washington D.C.

Gleichzeitig ist aber falsch, dass die USA im Gegensatz zu Deutschland nur gut ausgebildete Menschen ins Land lassen: Washington wählt zwar bei der Einwandererpolitik ("Green Card") tatsächlich auch stark nach Qualifikation aus. Aber gleichzeitig kamen in den vergangenen 20 Jahren mehr als zehn Millionen weitere Menschen illegal oder als politische Flüchtlinge in die USA.

Das Ergebnis: Während Deutschland ein Kraftakt bevorsteht, wenn es nun neben den vielen Tausend Ingenieuren oder Facharbeitern aus Syrien oder Afghanistan auch Hunderttausende schlecht ausgebildeter Menschen integrieren muss, haben die USA mit zig Millionen illegal im Land lebenden Mexikanern oder anderen Ex-Lateinamerikanern ähnliche Herausforderungen.

Deutschland, sind wir als neues Traumland die Kopie der USA in der Mitte Europas? Es gibt Parallelen, trotzdem sind die Staaten unvergleichbar: Das traditionelle Einwandererland USA sieht sich als optimistisches Ausnahmeland. Die Deutschen haben eine pessimistischere Mentalität und haben es als nicht-englisches Land schwerer, Einwanderer zu integrieren.

Die USA sind atomar gerüstete Weltmacht, die Deutschen sind nur schlecht gerüstete Mittelmacht mit hoher Abneigung gegen militärische Einsätze. So ist es kein Wunder, dass Berlin in der globalen Politik überwiegend auf Diplomatie und Wirtschaftsstärke setzt, wogegen die USA wie Frankreich und Großbritannien auch militärisch einmal die Muskeln spielen lassen.

Die Bundesregierung hat zwar viel Kritik auf sich gezogen, weil sie die linke Regierung in Griechenland zwang, die Reformpolitik doch fortzuführen, aber von allgemeiner Dominanz in Europa kann nicht die Rede sein: "Deutsche Interessen, die nicht mit den Interessen der Europäischen Union verträglich sind, sind nicht legitim", bringt der renommierte Historiker Heinrich August Winkler die Staatsräson auf den Punkt. Anders formuliert: Deutschland ist zwar stark, aber es gibt innerhalb der EU keinerlei Alleingänge.

Innerhalb ihres Hinterhofs Lateinamerika sind die USA noch machtloser: Früher galten viele Staaten als reine Anhängsel Washingtons, jetzt regieren oft erklärte Kritiker der USA.

(RP)
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