Gewalt in Behindertenheimen Länder blockieren Entschädigungsfonds für Missbrauchsopfer

Berlin · Bund und Kirchen wollen einen Fonds für Gewaltopfer aus Behindertenheimen einrichten. Die Länder fürchten ausufernde Kosten.

Zwischen Sozialpolitikern im Bund und den Fachministern der Länder ist ein Streit um die Finanzierung eines Entschädigungsfonds für Missbrauchsopfer entbrannt. Dabei geht es um Geld, mit dem das Leid von Kindern und Jugendlichen etwas gelindert werden soll, die von 1949 bis 1990 Opfer von Gewalt und Missbrauch in west- und ostdeutschen Heimen der Behindertenhilfe und Psychiatrie geworden sind. Einig sind sich Bund, Länder und Kirchen bisher nur in der Anerkennung des Leids.

Immer wieder hatte es in der Vergangenheit Berichte über die damaligen Zustände in einzelnen Einrichtungen gegeben. Augenzeugen berichten etwa in einem Fernsehbeitrag der ARD über Quälereien durch das Pflegepersonal in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im nordrhein-westfälischen Marsberg in den 50er und 60er Jahren. Dort habe es für minderjährige Patienten Strafen durch Schläge oder Einzelarrest gegeben.

Streit gibt es nun um die Finanzierungsform der Entschädigungsmittel. Während der Bund und die Kirchen auf eine Fondslösung drängen, wie es sie etwa schon für Heimkinder gibt, haben bis auf Bayern alle Landesminister diesem Vorhaben bei ihrem Treffen im November einen Riegel vorgeschoben. Sie beauftragten stattdessen den Bund, eine andere Finanzierungsform zu finden. Im Beschluss heißt es, es mögen Vorschläge unterbreitet werden, "wie das erlittene Unrecht und Leid auch mithilfe von Anpassungen der Regelsysteme anerkannt werden kann (unter anderem zum Beispiel im Rentenrecht)".

Die Mitglieder des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales aller Fraktionen reagierten nach Informationen unserer Redaktion bei ihrer gestrigen Sitzung empört und legten eine seltene Einmütigkeit an den Tag. Die Vorsitzende des Ausschusses, Kerstin Griese (SPD), sagte: "Ich appelliere an die Länder, sich an einer gemeinsamen Fondslösung zu beteiligen." Der Bund und die Kirchen seien bereit, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Die Länder dürften nicht ausscheren.

Das NRW-Sozialministerium bleibt jedoch auf Konfrontationskurs und betont, dass man auch aufgrund der Erfahrungen mit dem bestehenden Fonds, Heimerziehung' einen anderen Weg finden wolle. Die Länder fürchten, dass sich der neue Fonds als Fass ohne Boden entpuppen könnte. Tatsächlich war der Bedarf an den Mitteln des Fonds "Heimerziehung" größer als erwartet, es musste Geld nachgeschossen werden. Der Bedarf an einem Fonds für behinderte Kinder ist indes unklar. Schätzungen zufolge wird von 2000 bis 10 000 Betroffenen ausgegangen - maximal wären dann 150 Millionen Euro nötig, sagen Experten. Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) hält bisher einen gedrittelten Anteil von 20 Millionen Euro vor.

(jd)
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