Umsturz der Taliban Länder bieten Kontingente für geflüchtete Afghanen

Düsseldorf · Zusätzlich zu 800 Ortskräften will NRW 1000 Aktivistinnen, Journalistinnen und deren Familien Zuflucht bieten. Armin Laschet spricht von einem Akt der Humanität. Auch andere Bundesländer zeigen sich dazu bereit. Die politische Aufarbeitung der Ereignisse der vergangenen Tage nimmt derweilen Fahrt auf.

 Kurz nach der Landung werden die Evakuierten von deutschen Sicherungskräften aus dem Airbus A400M geleitet.

Kurz nach der Landung werden die Evakuierten von deutschen Sicherungskräften aus dem Airbus A400M geleitet.

Foto: dpa/Marc Tessensohn

Zusätzlich zu den 800 Plätzen für Ortskräfte aus Af­ghanistan hat Nordrhein-Westfalen weitere 1000 Plätze für Frauen aus Afghanistan zur Verfügung gestellt. Damit wolle man schnellstmöglich besonders bedrohten Bürgerrechtlerinnen, Menschenrechtsaktivistinnen, Künstlerinnen, Journalistinnen und anderen mit ihren Familien in Deutschland eine sichere Unterkunft bieten, hieß es. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte unserer Redaktion, die Lage erfordere schnelles humanitäres Handeln.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel sagte, das Angebot der Länder zur Aufnahme von afghanischen Ortskräften und etwa Frauenaktivistinnen sei notwendig, die Bundesregierung müsse aber zuvor den ersten Schritt machen. „Ich bin fassungslos, dass das Leben und das Schicksal der Menschen, die sich für unsere Bundeswehr und Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt haben, nun vom Willen der Taliban abhängt, weil versäumt wurde, den Abzug rechtzeitig zu planen. Das ist eine Schande für die deutsche Außen­politik.“ Es müsse alles versucht werden, so viele Menschen wie möglich aus dem Land herauszuholen. Nach Angaben der Bundesregierung wurden bisher 189 Deutsche aus Kabul ausgeflogen. Hinzu kämen 202 afghanische Bürger, 59 EU-Bürger und 51 Menschen aus anderen Staaten.

Die Landesinnenminister forderten ein zentrales Aufnahmeprogramm für die Fliehenden. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), Vorsitzender der Innenministerkonferenz, sagte dazu: „Aufgrund der sicherheits- und außenpolitischen Verantwortung des Bundes sehen wir hier den Bund in der Pflicht.“ Er habe die Möglichkeiten, die es in dieser Lage brauche, etwa um vor Ort in Afghanistan den Personenkreis zu identifizieren, um den es gehe.

Mehrere Unionspolitiker, darunter Strobl und Kanzlerkandidat Laschet sowie CDU-Vizechefin Julia Klöckner, hatten gesagt, Fehler aus dem Jahr der Flüchtlingskrise, also 2015, dürften sich nicht wiederholen. Mit Blick auf einen möglichen Anstieg der Zahlen von Geflüchteten aus Afghanistan in Deutschland sagte NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) nun: „Was Fluchtbewegungen aus der Bevölkerung Afghanistans angeht, erwarte ich derzeit keine Entwicklung wie 2015/2016.“ Vogel verwies darauf, dass Experten die Situation in Syrien und Afghanistan nicht für vergleichbar hielten: „Es wird aber in der Region große Fluchtbewegungen geben, und deswegen ist es richtig, dass wir die zuständige Institution, also die UN-Organisationen wie das UNHCR, jetzt stärken und nicht wieder alleinlassen.“

Das Bundesinnenministerium distanzierte sich unterdessen von der Schätzung, dass wegen der Macht­übernahme der Taliban mit bis zu fünf Millionen afghanischen Flüchtlingen zu rechnen sein könnte. „Das ist nicht die Einschätzung des BMI“, sagte ein Ministeriumssprecher am Mittwoch in Berlin. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) bei einer Unterrichtung der Bundestags-Fraktionschefs am Montag selbst gesagt, dass 300.000 bis fünf Millionen Afghanen die Flucht ergreifen könnten – ohne dass klar wurde, woher diese Zahlen stammen und was das Ziel dieser Menschen ist.

FDP-Vize Vogel verlangte, man müsse untersuchen, was bei den Nachrichtendiensten nicht funktioniert habe. An Warnungen habe es nicht gemangelt. Zugleich attackierte er Außenminister Heiko Maas (SPD), der noch Anfang Juni gesagt hatte, das Szenario einer schnellen Übernahme des Landes durch die Taliban sei nicht das seine: „Eine katastrophale Fehleinschätzung, diese Möglichkeit nicht zumindest auch einzukalkulieren“, so Vogel und forderte von Maas eine Klarstellung seiner widersprüchlichen Aussagen zur Räumung der Botschaft. „Bezogen auf die Gefahr für das Botschaftspersonal steht inzwischen Aussage gegen Aussage. Wie Heiko Maas derzeit in den Spiegel schauen kann, weiß nur er selbst.“

In Afghanistan selbst führten die Taliban erste Gespräche mit den politischen Kräften des Landes. Der geflohene Präsident Aschraf Ghani wurde von den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgenommen.

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