Kurdenkonflikt in deutschen Städten "Eine brandgefährliche Angelegenheit"

Düsseldorf · In der Türkei verschärft sich der Konflikt zwischen dem Staat und den Kurden. Auch in Köln und anderen deutschen Großstädten gab es bereits Zusammenstöße. Ist das erst der Anfang?

Mehrere hundert Türken und Kurden demonstrierten am Wochenende in Köln.

Mehrere hundert Türken und Kurden demonstrierten am Wochenende in Köln.

Foto: dpa, mb lof

In der Türkei ist der Konflikt mit der kurdischen PKK wieder aufgeflammt. Der Selbstmordanschlag im südtürkischen Suruc mit 30 Toten hat die Eskalationsspirale im vergangenen Juli wieder in Gang gesetzt: Die PKK verübt Anschläge, türkische Sicherheitskräfte reagieren mit Angriffen auf bewohnte Gebiete. Die Krise schlägt bis nach Deutschland durch. Allein in NRW leben rund eine Million Menschen türkischer Abstammung.

Demonstrationen in Deutschland

Spätestens seit dem Wochenende ist die Sorge zurück, der Konflikt könnte vermehrt in Deutschland ausgetragen werden: Bei Kundgebungen in Köln, Frankfurt, Hamburg und Stuttgart kam es zu Ausschreitungen. Nur mit Mühe konnte die Polizei die verfeindeten Lager auseinanderhalten. In Köln flogen Flaschen und Feuerwerkskörper, die Polizei setzte Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Mindestens 24 Personen wurden in Gewahrsam genommen.

Wer demonstrierte da?

Bundesweit organisiert wurden die Kundgebungen unter dem Titel "Initiative Friedensmarsch für die Türkei" von einem Komitee namens AYTK (Avrupa Yeni Türkler Komitesi). Vor allem über soziale Netzwerke versuchte die Gruppe zu mobilisieren, das allerdings wenig erfolgreich: Statt der für Köln angemeldeten 5000 Teilnehmer kamen nur rund 700. Auf der anderen Seite hatten sich ebenfalls rund 700 Gegendemonstranten eingefunden, augenscheinlich zusammengesetzt aus PKK-Sympathisanten und Anhängern der linken Szene. Ähnlich verhielt es sich bei den Kundgebungen in anderen deutschen Großstädten. Massen mit mehreren tausend Teilnehmern konnten die Veranstalter nirgends mobilisieren.

Wer steckt hinter der AYTK?

Die AYTK ist eine bislang weitgehend unbekannte Gruppierung. In ihren Aufrufen zur Demonstration gab sie sich unpolitisch; laut Polizei bezeichnet sich die Organisation als von Parteien und Vereinen unabhängig. Völlig anders beurteilte zuvor ein Bündnis mit Beteiligung kurdischer und armenischer Organisationen die Gruppe: Es wirft der AYTK vor, der AKP nahe zustehen, der Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Demnach steckt hinter den Kundgebungen der türkische Staat. AYTK gehe es nur darum, andere Kräfte einzuschüchtern.

"Das ist keine echte Organisation", sagt Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung. Gesicherte Erkenntnisse über die Gruppe lägen ihm noch nicht vor. Aber dass sie maßgeblichen Einfluss auf die türkische Community in Deutschland ausübt, könne er sich kaum vorstellen, sagt Ulusoy. Dazu verweist er auf die geringe Teilnehmerzahl der Kundgebung in Köln. 100.000 türkischstämmige Menschen hätte sie potenziell erreichen können, nur 700 seien gekommen. Sein Fazit: "Man sollte AYTK nicht überbewerten."

Wie gefährlich ist der Konflikt?

Die Meinungen gehen auseinander. Der Islam-Wissenschaftler Udo Steinbach zeigt sich besorgt. "Derartige Demonstrationen sind eine brandgefährliche Angelegenheit", sagte er "Focus Online". Der Kurdenkonflikt werde in wachsendem Maße auf deutschen Straßen ausgetragen. Deutlich zurückhaltender bewertet Ulusoy die Dinge. Zwar könne er weitere Auseinandersetzungen nicht ausschließen. Doch habe es sich dabei immer nur um "singuläre Ereignisse" im überschaubarem Ausmaß gehandelt. Die große Masse der türkischen Bürger habe sich immer besonnen verhalten. "Massenproteste wird es auch weiterhin nicht geben, so lange die großen Verbände nicht eingreifen", prognostiziert der Wissenschaftler.

Freilich wurde der Kurdenkonflikt in der Vergangenheit schon mehrfach auch in Deutschland ausgetragen; immer wieder eskaliert er in brutaler Gewalt. Erst im September 2015 wurde bei einer Demonstration gegen die PKK in Hannover ein Mann lebensgefährlich verletzt. Im September 2012 gingen die Widersacher in Mannheim mit Steinen, Stangen und Gullydeckeln aufeinander los.

Zusätzlichen Zündstoff liefert der Krieg in Syrien und dem Irak. Durch ihn sind Sympathisanten des IS Akteure in dem Konflikt geworden - auch in Deutschland. So etwa im August 2014, als es in Herford zwischen kurdischen Jesiden und Anhängern des IS knallte. Im Oktober gingen Kurden und IS-Anhänger in Celle und Hamburg aufeinander los. Die Polizei sprach anschließend von "menschenverachtender Brutalität" und beschlagnahmte Hieb- und Stichwaffen.

Womit rechnen die Behörden?

Nach eigenen Angaben sind die deutschen Sicherheitsbehörden mit Blick auf die Zukunft hellwach. Eigentlich sei die PKK an einem friedlichen Auftreten in Deutschland interessiert, weil europäische Länder als Ruhe- und Rückzugsraum vorgesehen seien, heißt es in einem Dossier des Bundesverfassungsschutzes (PDF). Am Montag zitierte der "Tagesspiegel" jedoch aus einem internen Bericht der Berliner Verfassungsbehörde. Demnach ist "nicht nur mit einer Zunahme von Demonstrationen, sondern auch mit Ausschreitungen zu rechnen."

Auch im Bericht des Bundesverfassungsschutzes zur Einschätzung der in Deutschland verbotenen PKK heißt es im Juli 2015: "Beim Aufeinandertreffen von PKK-Anhängern und türkischen Nationalisten in Deutschland können jederzeit spontane Gewalttätigkeiten erwachsen." Komme es zu Ereignissen, die die Anhängerschaft emotionalisieren, seien auch extremere Gewalttaten denkbar, etwa gezielte Angriffe auf türkische Einrichtungen oder Gewalt gegen die Polizei.

Entsprechend kann sich jede neue Zuspitzung des Kampfes in der Türkei auch in Deutschland niederschlagen. "Die Stimmung ist aufgeheizt, natürlich", sagt auch Türkei-Wissenschaftler Ulusoy. "Im Südosten der Türkei sterben derzeit täglich Menschen, und zwar auf beiden Seiten."

Woher kommt der Hass?

Der Konflikt zwischen der kurdischen Volksgruppe und der Türkei hat eine lange Geschichte. Im Ersten Weltkrieg stellten die späteren Siegermächte den Kurden Autonomie in Aussicht - nach der Niederlage des Osmanischen Reiches an der Seite Deutschlands wurde dieses Versprechen aber nicht umgesetzt: Die Kurden gingen leer aus, stattdessen wurde ihr Gebiet auf die Türkei, den Iran und den Irak aufgeteilt.

Nicht zuletzt, weil die Kurden in diesen Ländern - später kam auch Syrien hinzu - mehr oder minder starken Repressalien ausgesetzt sind, streben sie nach einem eigenen Staat. Das aber ginge nur auf Kosten der Länder, deren Gebiet sie beanspruchen. Für die Regierungen dieser Staaten ist die Vorstellung eines unabhängigen Kurdistans ein Alptraum. Auch für den türkischen Präsidenten Erdogan, der die PKK-Anhänger immer wieder als Terroristen bezeichnet.

Der Vorwurf geht zurück auf die langen blutigen Kämpfe mit der PKK. Diese hatte 1984 unter ihrem Anführer Abdullah Öcalan den bewaffneten Kampf eröffnet und damit eine verheerende Spirale von Gewalt und Gegengewalt in Gang gesetzt.

(pst)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort