Sparpaket der Bundesregierung Kürzen, streichen, kassieren
Berlin (RP). Mit einem 80-Milliarden-Euro-Sparpaket will CDU-Kanzlerin Angela Merkel ihre krisengeschüttelte Koalition in die Offensive bringen. Belastet werden vor allem Eltern, Unternehmen, Reisende und Arbeitslose. Die Verhandlungen standen knapp vor dem Scheitern.
Am Ende kann die Krisen-Kanzlerin sogar lachen. Als FDP-Chef Guido Westerwelle auf der Pressekonferenz zum schwarz-gelben Sparpaket erklärt, man werde mit "Geduld und Liebe" auch den Streit um die Gesundheitsreform beseitigen, da kann sich Merkel ein Lachen nicht verkneifen. "Liebe" fällt Beobachtern derzeit nun wirklich nicht zur Koalition ein.
Immerhin: Merkel und ihre Minister demonstrieren Handlungsfähigkeit. In nur 25 Stunden schnürt die Bundesregierung ein beispielloses Sparpaket, das — jede Einzelmaßnahme für sich genommen würde tagelange Debatten auslösen — volumenmäßig in der Geschichte der Republik einmalig ist. Kürzen, Streichen und zwei neue Steuern, so will der Bund bis 2014 das Defizit um rund 80 Milliarden Euro verringern. Selbst hochrangige SPD-Mitglieder im Finanzministerium bezeichnen das als "ambitioniertes Werk". Harmonisch ging es indes nicht zu. Mehrfach stand die Koalition am Rande des Bruchs, wie Teilnehmer berichten. Ein Rückblick in drei Akten.
1. Akt: Kanzlerin mit Pathos
Sonntagmittag, kurz vor 14 Uhr, Kanzleramt. Es gibt Wasser und Kaffee. Merkel sitzt mit ihren Ministern im Konferenzzimmer und ahnt wohl, dass diese Sitzung die wichtigste ihrer Amtszeit ist: Sie tut etwas, was ihr gar nicht liegt. Sie gibt die Schicksalsbotin. In dramatischen Worten beschwört sie die Notwendigkeit einer geschlossenen Vorgehensweise, eines umfassenden Sparpakets. Die Beschlüsse würden die Zukunft des Landes und der Koalition bestimmen, sagt sie Teilnehmern zufolge. Im Kanzleramt herrschte "eine konzentrierte Unruhe", beschreibt eine Ministerin die Atmosphäre. Dann geht es in die Fachdebatte.
Die CDU versucht, der FDP Steuererhöhungen bei der Einkommensteuer schmackhaft zu machen. Man müsse auch die Gutverdiener einbeziehen, heißt es. Doch FDP-Chef Westerwelle schaltet auf stur. Nach den jüngsten Schlappen hat sich die FDP geschworen, weder bei der Mehrwert- noch bei der Einkommensteuer Kompromisse zu machen. "Das ist für uns eine Existenzfrage", warnt einer aus der FDP. Einige interpretieren die Worte als Koalitionsfrage.
Man wechselt zum Sozialetat. Da geht es schneller. Abbau von Maßnahmen für Arbeitslose, Kürzungen beim Elterngeld. Bis 21 Uhr tagt die große Ministerrunde, dann geht es in die Pause (Frikadellen, Kassler, Gulaschsuppe). Nun folgen die Einzelgespräche, in wechselnder Besetzung. Mal Merkel-Westerwelle-Schäuble mit einzelnen Ministern, dann mal nur Merkel und Schäuble mit den Ministern, auch mal Merkel alleine unter vier Augen. Das Original-"Beichtstuhlverfahren".
Zwischen FDP und CSU-Ministern ist die Spannung in dieser Phase spürbar. Der heftige Schlagabtausch um die Gesundheitsprämie belastet die Runde. Mehrere CDU-Bundesminister schlagen sich auf die Seite von FDP-Mann Rösler, schimpfen über den nicht anwesenden CSU-Chef Horst Seehofer, der Röslers Plan zum Scheitern gebracht hat.
Am Abend versucht die CDU dann, mit der FDP erneut über die "Einnahmeseite" zu reden, stellt die ermäßigten Mehrwertsteuersätze teilweise infrage. Die FDP-Minister blocken. "Da war Feuer unterm Dach", sagt ein Teilnehmer. Westerwelle bleibt unbeirrbar bei seiner Position. Um kurz nach 1 Uhr vertagt man sich auf Montag.
2. Akt: Die Revolte der Minister
CDU-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer bremsen den Fortschritt bei den Verhandlungen. Sie hätten "Sparvorschläge" gemacht, die in der Finanzplanung gar nicht vorgesehen waren, wird beiden vorgeworfen. Luftbuchungen. Beide sollen Milliarden sparen. Es sei "schwer gewesen, die beiden in die andere Richtung zu bewegen", sagt einer der Teilnehmer der Runde.
Derweil laufen über die Nachrichtenagenturen bereits Stellungnahmen von SPD und Gewerkschaften, die vor einem "sozialen Kahlschlag" warnen. Nun rebelliert auch CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Er könne die Einsparungen nur erbringen, wenn er sich entweder für eine Einsatz- oder für eine Wehrpflichtarmee entscheide. Als überzeugter Anhänger der Wehrpflicht sei er bereit, die Wehrpflicht auszusetzen, um den Sparbeitrag leisten zu können.
FDP-Chef Westerwelle signalisiert Zustimmung, fragt, ob Guttenberg und die Union die Umsetzung garantieren könne. Guttenberg schaut zu Angela Merkel, die schüttelt mit dem Kopf. In der CDU gibt es Widerstände gegen ein Aussetzen der Wehrpflicht. Später versucht Merkel ihrem CSU-Minister im "Beichtstuhl" die Idee auszureden.
Die Pressekonferenz wird verschoben. Man einigt sich, dass die Bundeswehr-Kommission die Frage bis September 2010 prüfen soll. Es bleibt beim Abbau von 40.000 Berufs- und Zeitsoldaten. Während Merkel und Guttenberg zusammensitzen, geistert der "Jux" durch die Flure, Guttenberg habe mal wieder mit Rücktritt gedroht. Auch mit von der Leyen und Ramsauer wird weiter verhandelt. Es wird um Milliarden gefeilscht. Es gibt Brötchen. Um 13.30 Uhr eine SMS aus dem Kanzleramt: "Wir sind durch."
3. Akt: Meinungshoheit
Im Saal der Bundespressekonferenz versammeln sich rund 80 Journalisten. Merkel und ihr Vize, FDP-Chef Guido Westerwelle kommen sichtlich erschöpft um 15 Uhr, sprechen von "ernsten, schwierige Zeiten" und einem "Kraftakt". Man wolle Zukunft gestalten, versuchen beide dem Spar-Mix eine Botschaft zu geben. "Die Ausgaben müssen den Einnahmen folgen", erzählt Westerwelle eine Binsenweisheit. Er lobt die FDP für die harte Linie bei Steuererhöhungen. Zur Hotel-Steuer sagt er nichts. Am Abend gehen beide in die Fraktionen. Auch dort wird gemurrt, gemäkelt. Aber in Frage stellen will das Sparpaket keiner mehr.