Spitzenpolitiker kritisieren Twitter Weniger Gezwitscher und mehr Törööö?

Berlin · Die Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter durch Tesla-Chef Elon Musk sorgte für Aufregung. Kritiker befürchten eine Zunahme von Hass und Hetzte auf der Plattform. Erste Spitzenpolitiker haben das Netzwerk bereits verlassen. Wer weg ist und wer dennoch bleiben will.

Nach monatelangem Hin und Her kaufte Tesla-Chef Elon Musk Ende Oktober den Kurznachrichtendienst Twitter. Mit der Übernahme stieg die Kritik an der Plattform.

Nach monatelangem Hin und Her kaufte Tesla-Chef Elon Musk Ende Oktober den Kurznachrichtendienst Twitter. Mit der Übernahme stieg die Kritik an der Plattform.

Foto: AP/Gregory Bull

Twitter ist eine Blase für Menschen mit Mitteilungsbedürfnis, politisches Sprachroht und auch Behörden und andere Institutionen sind in dem Netzwerk vertreten. Nach monatelangem Hin und Her kaufte Tesla-Chef Elon Musk Twitter Ende Oktober. Anschließend kündigte er nicht nur dem Management, sondern auch rund der Hälfte der 7500 Angestellten. Er sorgte für Diskussionen um verifizierte Kundenkonten, verbreitete selbst Tweets mit teils kruden Botschaften und gab gesperrte Accounts wieder frei – etwa von Ex-US-Präsident Donald Trump.

Auch bei deutschen Spitzenpolitikern sorgte der Eigentümerwechsel bei Twitter für Reaktionen. So verließ beispielsweise  Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) unmittelbar danach die Plattform. Die neue Twitter-Strategie sei „offenbar bewusst darauf ausgelegt, jegliche Kontrolle zu vermeiden und unter dem Deckmantel der „freien Rede“ der Verbreitung von „Hatespeech“ freien Lauf zu lassen“, sagte Weil. Auch der Twitter-Account der niedersächsischen Landesregierung wurde gelöscht.

Neben Weil verließen in diesem Herbst auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert das soziale Netzwerk. Esken argumentierte, dass Twitter „nichts gegen Fake-Profile“ unternehme und im Umgang mit gemeldeten strafbaren Inhalten „wie Beleidigung oder Volksverhetzung ausgesprochen nachlässig“ agiere. Kühnert erklärte, dass Twitter nicht das richtige Medium für seine politische Arbeit sei und kritisierte, dass Twitter die Wahrnehmung verzerre.

Schon länger Twitter-frei lebt hingegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er verließt die Plattform bereits Anfang 2019. Habeck zog damit Konsequenzen nach persönlichen Fehltritten. Außerdem kritisierte er den Datenschutz.

Unklar ist, ob Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerinnen und Minister generell ihre Accounts weiter betreiben werden. Twitter zu verlassen, ohne eine Alternative zu haben, sei zu kurz gedacht, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. „Wir haben den Auftrag, breit über die Arbeit der Bundesregierung zu informieren und wollen dafür möglichst viele Kanäle nutzen“, so Hebstreit. Mit einer Million Follower ist Gesundheitsminister Karl Lauterbach der Twitter-König der Bundesregierung. „Zum jetzigen Zeitpunkt bleibe ich noch aktiv, weil dort ist die Debatte derzeit und der muss ich mich auch stellen“, sagte der SPD-Politiker.

Neben Lauterbach und Scholz bleiben die meisten Spitzenpolitiker in Deutschland auf Twitter aktiv. So auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). „Die deutschen Gesetze gelten für alle Plattformen gleichermaßen. Der Wechsel des Eigentümers allein ist für mich zumindest kein Grund, das Twittern sein zu lassen“, sagte Buschmann dem „Spiegel“.

Ähnlich sieht die Situation auch in den Oppositionsparteien aus. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kritisierte die Diskussionskultur auf Twitter und löschte die App von seinem Handy. Tweets verfasst er jedoch auch weiterhin. Auch die Parteivorsitzende der Linken, Janine Wissler, will zunächst bei Twitter bleiben. „Natürlich bereitet die Übernahme von Twitter durch einen Milliardär mit Rechtsdrall und einer Verachtung für die Rechte seiner Beschäftigten uns Sorge“, sagte Wissler. Gregor Gysi (Linke) ist zudem der Meinung, dass die gesellschaftliche Linke „den Elon Musks aller Größenordnungen“ nicht den Gefallen tun dürfe, sich zurückzuziehen. „Bei Twitter gibt es nicht weniger oder mehr Hass, Rechte und Profitgier als im realen Leben“, sagte Gysi.

Neben den kritischen Stimmen gibt es jedoch auch Lob für die Twitter-Übernahme durch Musk. „Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, kann auf Twitter wieder offener für Freiheit und Selbstbestimmung eingetreten werden. Das ist gut für die Twitter-Blase – und letztlich für die Meinungsfreiheit in Deutschland“, sagte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel.

Auch wenn bislang erst einzelne Spitzenpolitiker Twitter hinter sich gelassen haben, steht ein neues soziales Netzwerk schon bereit. Mastodon statt Twitter bedeutet Elefant statt Vogel, „toots“ (deutsch für „trööts“) statt „tweets“ und 500 statt 280 Zeichen. Um Zensur, Hassrede oder undurchsichtige Algorithmen zu unterbinden, setzt der Kurznachrichtendienst, der 2016 von Eugen Rochko aus Jena gegründet wurde, auf Open Source-Software und dezentrale Server. Außerdem ist er nicht auf Profit ausgerichtet. Bei Mastodon gibt es mittlerweile über acht Millionen Konten. Auch Saskia Esken (SPD), Konstantin von Notz (Grüne) und Anke Domscheit-Berg (Linke) sind dort zu finden, ebenso wie einige Accounts von Ministerien.

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