Vorschlag zur zweijährigen Pflegezeit Kristina Schröder empört die Wirtschaft

Berlin (RPO). Wer sich eine Auszeit nimmt, um seine Angehörigen zu pflegen, soll nach dem Willen von Familienministerin Schröder keine Nachteile mehr haben – mit Hilfe eines Rechtsanspruchs, der eine zweijährige Pflegezeit garantieren soll. Das Echo ist geteilt.

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Berlin (RPO). Wer sich eine Auszeit nimmt, um seine Angehörigen zu pflegen, soll nach dem Willen von Familienministerin Schröder keine Nachteile mehr haben — mit Hilfe eines Rechtsanspruchs, der eine zweijährige Pflegezeit garantieren soll. Das Echo ist geteilt.

Schröders Vorstoß stößt auf Ablehnung beim Sozialverband VdK, SPD und Grünen sowie Wirtschaft und Experten. Kritisiert wird vor allem eine ungenügende finanzielle Absicherung der pflegenden Angehörigen. Die Arbeitgeber dagegen befürchten weitere finanzielle Belastungen der Unternehmen.

Nach den Plänen der Ministerin sollen Berufstätige mit pflegebedürftigen Angehörigen einen Anspruch auf zwei Jahre Pflegezeit bekommen. Die pflegenden Personen sollen in dieser Zeit bei 50 Prozent Arbeitszeit 75 Prozent des Gehalts erhalten. Später müsste sie dann wieder voll arbeiten, bekämen aber weiterhin so lange 75 Prozent des Gehalts, wie zuvor Teilzeit gearbeitet wurde.

Dem Sozialverband VdK geht der Vorschlag nicht weit genug. "Die finanzielle Absicherung der pflegenden Angehörigen ist nicht gewährleistet, wenn sie auf 25 Prozent ihres Lohns verzichten sollen", sagte Verbandspräsidentin Ulrike Mascher. Pflegende Angehörige seien aber zumeist Frauen in schlecht bezahlten Jobs.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nannte die Pläne "eine Falle für jede berufstätige Frau". Frauen, die zwei Jahre nur halbtags arbeiten, liefen Gefahr, ihre Karrierechancen zu verwirken und womöglich dauerhaft auf einem niedrigeren Gehaltsniveau zu bleiben. "Ich sehe das Risiko, dass viele am Ende sogar ganz ausscheiden." Der Vorstoß Schröders sei aber "typisch für die Politik der CDU". Das Konzept entspreche einem überholten Familienbild, urteilte Lauterbach: "Das ist wie bei vielen Vorschlägen der CDU: Am Ende sollen die Frauen zurück an den Herd gelockt werden."

Auch für die Grünen ist Schröders Vorstoß ein Modell vergangener Gesellschaften. "Frau Schröder will die Pflege wieder auf den billigsten Pflegedienst abwälzen, nämlich im Zweifel die weiblichen Angehörigen", sagte Fraktionschefin Renate Künast. "Was die Menschen brauchen, ist eine dreimonatige Auszeit mit Lohnersatzleistung, um die Pflege eines Angehörigen zu organisieren und qualitativ hochwertige Pflegestützpunkte, die alle notwendigen Dienstleistungen anbieten", forderte Künast.

Spitzenverbände der Wirtschaft haben aus anderen Gründen starke Bedenken gegen den Vorschlag einer Pflegeteilzeit. Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise dürfe es keine weiteren Belastungen bei den Arbeitskosten und für Beschäftigung geben, sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. "Es entsteht ein Kostenrisiko für Betriebe, wenn Arbeitnehmer ihr Unternehmen verlassen, bevor die durch die Pflegezeit unterbliebene Arbeit nachgeholt ist", betonte er. Die Wirtschaft setze auf flexible Arbeitszeitmodelle und "nicht auf gesetzliche Regulierung".

Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des DIHK, Achim Dercks, sagte, bei diesem gesamtgesellschaftlichen Thema dürften "die finanziellen Risiken nicht einseitig beim jeweiligen Betrieb abgeladen werden". Statt eine staatliche Einheitslösung festzuschreiben, sollten gute Arbeitszeitmodelle aus der Praxis bekannter gemacht werden. Zudem sei eine Professionalisierung der Pflegeangebote notwendig.

Der Pflegekritiker Claus Fussek sagte, Schröders Pläne seien nicht einmal der Tropfen auf den heißen Stein. "Das Gros der Angehörigen hat davon überhaupt nichts", sagte Fussek. Das Angebot werde nur für wenige Betroffene attraktiv sein. Ansonsten seien die Pläne lediglich ein Indiz dafür, dass sich die neue Ministerin wohl nur wenig mit den Realitäten in der häuslichen Pflege auseinandergesetzt habe.

Der weit überwiegende Teil der pflegenden Angehörigen habe gar keine Zeit, noch eine andere Tätigkeit auszuüben. "Vielfach müssen die Angehörigen 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche und damit 30 oder 31 Tage im Monat ihre Liebsten pflegen", sagte Fussek. Mit diesem Vorstoß habe es Frau Schröder verpasst, zum Anfang ihrer Amtszeit einen entscheidenden Schritt zur Verbesserung der Pflegesituation in Deutschland zu machen.

(AFP/tim)
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