Ex-Bundeswehr-General Egon Ramms „Putin wird nicht ohne Weiteres seine Interessen und Ziele aufgeben“

Bonn · Ex-General Egon Ramms wirft früheren Bundesregierungen im Bonner Forum der Deutschen Atlantischen Gesellschaft Tatenlosigkeit im Umgang mit Russland vor.

 Ein Mann schiebt sein Rad durch eine Straße in Mariupol.

Ein Mann schiebt sein Rad durch eine Straße in Mariupol.

Foto: dpa/Evgeniy Maloletka

War der aktuelle Angriffskrieg Russlands in der Ukraine verhinderbar? Aus Sicht von Egon Ramms ist das denkbar. Der ehemalige Bundeswehrgeneral und frühere Oberbefehlshaber des Allied Joint Force Command der Nato-Streitkräfte wirft früheren Bundesregierungen im Umgang mit Russland unter Wladimir Putin eklatante Fehleinschätzungen und Tatenlosigkeit vor. In einer virtuellen Fragerunde im Bonner Forum der Deutschen Atlantischen Gesellschaft erklärte Ramms am Donnerstagabend, 2007/08 sei eine Aufnahme der Ukraine in die Nato vor allem am Widerstand von Frankreich und Deutschland gescheitert.

Dabei habe Russlands damaliger Präsident Dimitri Medwedew schon damals ein Recht für Russland reklamiert, in jedem anderen Staat die Interessen russischer Bürger zu verteidigen. Der Westen habe nicht zugehört, so Ramms, und die Hände in den Schoß gelegt.  „Was haben wir in dieser Zeit gemacht? Was haben wir bei der Annexion der Krim 2014 gemacht oder beim Angriff auf das Donezbecken?“, fragte Ramms rhetorisch. Die Antwort gab er sich selbst. „Das Problem ist, dass wir nicht entsprechend reagieren. Das führt zu der großen Überraschung, die wir heute erleben.“

Vom konkreten Angriff vor zwei Wochen sei der Westen, auch er selbst, kalt erwischt worden, sagte Ramms. Nun gebe es ein „gewisses Risiko“, dass die Kampfhandlungen auch auf Nato-Staaten ausufern könnten. Wolle Putin seine Kriegsziele erreichen, müssten russische Truppen schließlich unmittelbar an deren Grenzen heranrücken. Es sei die wichtigste Aufgabe der Nato, eine weitere Eskalation zu vermeiden. Waffenlieferungen an die Ukraine seien deshalb „ein Ritt auf der Rasierklinge“. Das westliche Militärbündnis als Ganzes dürfe dabei nicht in der Verantwortung stehen. Die Nato könne deshalb auch beispielsweise nicht in der neutralen Republik Moldau eine Flugverbotszone einrichten.

 Egon Ramms auf einem Archivbild.

Egon Ramms auf einem Archivbild.

Foto: pr

Der Ex-General hält es „durchaus für möglich, dass der russische Vormarsch in der Ukraine zum Erliegen kommt“. Er sei sich hingegen nicht sicher, ob die Russen in diesem Fall bereit zu einem Rückzug wären. „Putin wird nicht ohne Weiteres seine Interessen und Ziele aufgeben“, vermutete er. Eine gesichtswahrende Lösung sei für ihn angesichts des unerwartet hartnäckigen Widerstands der Ukrainer kaum möglich. Außerdem zeige das gescheiterte Gespräch der beiden Außenminister am Donnerstag in Istanbul, dass auch die Ukraine nicht ihr Territorium wie die Halbinsel Krim oder die abtrünnigen Volksrepubliken Lugansk und Donezk aufgeben wolle.

Eine vollständige Besetzung der Ukraine, um ein russlandfreundliches Regime zu installieren, könnte hingegen selbst bei einem russischen Sieg ein wenig aussichtsreiches Unterfangen bleiben, das 80.000 bis 100.000 Soldaten binden würde, glaubt Ramms. Die Folge dieser verfahrenen Lage könnte ein jahre- oder jahrzehntelang schwelender Dauerkonflikt sein. Eine Blaupause dafür liefert die von Moldawien abtrünnigen Region Transnistrien. Dort sind gegen den Willen der moldawischen Regierung seit zwei Jahrzehnten rund 20.000 russische Soldaten stationiert.

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