Wirtschaftliche Folgen für Deutschland Es drohen Gasmangel, Inflation und Rezession

Düsseldorf · Die Folgen der Krise für Verbraucher und Firmen sind gravierend. Zwar muss keiner frieren, versichert die Branche. Doch die Inflation könnte auf sechs Prozent steigen. Zwei Jahre Rezession drohen. Und so schnell ist das russische Gas nicht zu ersetzen.

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Russland greift die Ukraine an

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Foto: AP/Vadim Ghirda

Der Angriff der Russen auf die Ukraine sorgt für Schockwellen auch in der Wirtschaft. Die Folgen des Krieges und der Sanktionen für Unternehmen und Verbraucher sind gravierend.

Bleiben jetzt die Wohnungen kalt? Die Sorge ist, dass Russland auf Sanktionen mit einem Abdrehen des Gashahns rageiert, auch wenn es das nicht mal im kalten Krieg gegeben hat. Dennoch müssen die Verbraucher nicht frieren. „Sicher ist: In diesem Winter wird jeder Gaskunde eine warme Wohnung haben“, sagte Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Sie verwies auf die vereinbarten Sicherungsmechanismen: Danach könnten zunächst Industrie-Kunden mit entsprechende Verträgen vom Netz genommen werden, um die Nachfrage zu drosseln. „In jedem Fall sind Haushaltskunden und Einrichtungen wie Krankenhäuser durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt“, so Andreae.

Wie stark steigen die Energiepreise? Haushalte und Unternehmen müssen sich auf einen weiteren Anstieg einstellen. „Auf den Großhandelsmärkten sehen wir aktuell einen nochmaligen Anstieg der Preise für Strom und Gas – ausgehend von bekanntlich bereits sehr hohem Niveau. Vieles spricht dafür, dass Preise wohl länger hoch bleiben“, sagte der Sprecher des größten deutschen Stromverkäufers Eon.

Können wir ohne Gas und Kohle aus Russland auskommen? Vorerst nicht. Laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kommen 55 Prozent des importierten Erdgases aus Russland, beim Öl seien es 35 Prozent und bei der Kohle 50 Prozent. Vor allem das Gas ist nicht so leicht zu ersetzen: „Das kann mittelfristig nicht ersetzt werden, dafür gibt es keine Alternativen in der Gasimport-Infrastruktur“, sagte Eons Finanzchef Marc Spieker der „Börsenzeitung“. Auch BDEW-Chefin Andreae machte klar, dass Flüssiggas nur eine Ergänzung ist: „In gewissem Umfang besteht die Möglichkeit, zusätzliche Flüssiggas-Mengen zu beziehen.“ Die größten LNG-Anbieter sind Katar, Australien und die USA. Deutschland ist mit ziemlich leeren Gasspeicher in den Winter gegangen, das soll sich nicht wiederholen: Für den nächsten Winter kündigte Habeck den Aufbau einer Gasreserve an: Die Eigentümer von Speichern, dazu zählt auch Gazprom, sollen verpflichtet werden, diese vor Beginn des Winters zu befüllen. Auch der Bau von Flüssiggas-Terminals ist geplant.

Heizt der Krieg die Inflation an? Auf Verbraucher könnten drastische Preiserhöhungen zukommen, weil Energie auch andere Produkte teurer machen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) rechnet zwei Szenarien vor: Wenn der Gaspreis auf dem hohen Niveau des vierten Quartals bleibt, würde die Inflationsrate auf 4,3 Prozent steigen und 2023 auf 4,5 Prozent. Kommt es dagegen zu gravierenden Lieferengpässen und steigen die Gaspreise um 50 Prozent, würde die Inflationsrate auf 6,1 Prozent klettern und 2023 auf fünf Prozent. „Die wirtschaftlichen Folgen eines militärischen Konflikts sind kaum abzuschätzen“, sagte IW-Forscher Thomas Obst. Bei der Energiesicherheit stehe man am Scheideweg.

Kommt jetzt eine Rezession? Das ist möglich. Zwar spielt Russland als Absatzmarkt für die deutsche Wirtschaft kaum eine Rolle, nur 2,3 Prozent des deutschen Außenhandels entfallen auf Russland. Doch der globale Post-Corona-Aufschwung wird durch den Konflikt gestört, die Unsicherheit wächst, es kann zu Produktionsausfällen kommen. Die steigenden Preise senken die reale Konsumnachfrage. Im harmlosen Szenario geht das IW davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt 2022 um 0,2 Prozent und 2023 um 0,7 Prozent sinkt. Im Szenario mit kräftig steigenden Gaspreisen droht hingegen ein starker Wirtschaftseinbruch: „Das BIP würde im nächsten Jahr ganze 1,4 Prozent geringer ausfallen.“

Drohen nun Steuererhöhungen? Die Krise belastet ohne Zweifel die Staatskasse, weil Steuereinnahmen sinken und Ausgaben steigen dürften. Eine Debatte über die weitere Aussetzung der Schuldenbremse auch im kommenden Jahr deutet sich an. „Die bisher geplante Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro im laufenden Jahr bleibt ein Orientierungspunkt, ein Fixpunkt, sakrosankt ist sie aber nicht“, sagte FDP-Chef-Haushälter Otto Fricke. „Die russische Invasion rückt die Bundeswehr und die Verteidigungsausgaben stärker in den Fokus“, so Fricke.

Welche Folgen haben Sanktionen? Die höchste Eskalationsstufe des Westens wäre, Russland vom internationalen elektronischen Zahlungssystem Swift abzukoppeln. Russland wäre dann nicht mehr in der Lage, Handel mit den meisten Ländern der Erde zu betreiben. Bisland hat Deutschland das abgelehnt. „Dann ist die Frage, ob China einspringt. Wenn sich der Konflikt auf China ausdehnen würde, hätten wir eine Weltwirtschaftskrise“, sagte Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft.

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Foto: dpa/Jens Büttner

Ist die Geldversorgung sicher? Deutsche Bank und Commerzbank sind nach eigener Aussage auf verschiedene Szenarien vorbereitet. Der Bundesverband deutscher Banken wies darauf hin, dass sich die meisten Geldhäuser „aufgrund der bereits seit 2014 bestehenden Sanktionen mit ihrem Russland-Engagement in den letzten Jahren zurückgehalten“ haben.

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