Experten warnen vor Übertherapie Zweifel an Krebsfrüherkennung

Berlin · Laut einer AOK-Studie fühlen sich viele Patienten nicht genug über Nutzen und Risiken informiert. Ärzte empfehlen die Darmspiegelung, bei anderen Krebsarten drohe zu viel Therapie.

 Das Röntgenbild einer weiblichen Brust beim Mammografie-Screening.

Das Röntgenbild einer weiblichen Brust beim Mammografie-Screening.

Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Bei der Aufklärung über die Früherkennung von Krebs gibt es in Deutschland noch Defizite. Das geht aus einer am Montag vorgestellten Untersuchung der Krankenkasse AOK hervor. Demnach gaben beispielsweise drei Viertel der gesetzlich Versicherten an, mit einem Arzt über den Nutzen einer Darmspiegelung gesprochen zu haben. Doch nur 36 Prozent der 2000 repräsentativ befragten Personen sagten, sie seien über Nachteile der Darmkrebsvorsorge informiert worden sein. Bei Gebärmutterhalskrebs lagen die Werte bei 55 Prozent (Nutzen) und 25 Prozent (Nachteile).

Seit Jahren wird diskutiert, welche Krebsfrüherkennung tatsächlichen Mehrwert bringt. So gilt es abzuwägen zwischen statistisch nachweisbaren Erfolgen einer Früherkennung, also der Identifizierung von Tumoren in einem frühen und damit oftmals besser therapierbaren Stadium, und den Risiken der jeweiligen Maßnahme. Galt lange die Vorgabe, dass möglichst alle Menschen ab einem bestimmten Alter zur Vorsorge gehen sollten, rücken nun sachliche Aufklärung und eine selbstbestimmte Entscheidung des Versicherten in den Fokus.

So jedenfalls wünscht es sich die AOK. Norbert Schmacke, Medizinprofessor an der Universität Bremen und Mitherausgeber des jetzt vorgelegten „Versorgungsreports Früherkennung“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, sprach von einem Kulturwandel: „Der Arzt ist zur gründlichen Aufklärung verpflichtet. Er darf Fragen oder Bedenken zum Beispiel zu möglichen Fehlalarmen durch falsche Befunde nicht einfach wegwischen.“ Er appellierte an Patienten, sich bei der Entscheidung für oder gegen eine Krebsfrüherkennung Zeit zu lassen.

Denn tatsächlich besteht Experten zufolge bei einigen der sogenannten Screenings das Risiko, dass Ärzte etwa Röntgenbilder falsch interpretieren und unnötige Behandlungen bis hin zu Operationen einleiten. Schmacke wies etwa darauf hin, dass von 1000 Frauen, die zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr regelmäßig am Brustkrebsscreening teilnehmen, zwei bis sechs vor dem Tod durch Brustkrebs bewahrt würden. Neun bis zwölf würden hingegen wegen eines entdeckten Tumors operiert oder bestrahlt, obwohl das Karzinom ihr Leben ohne Screening nicht beeinträchtigt hätte. Experten sprechen in dem Fall von Übertherapie, deren Ursachen oft in der Unkenntnis der Ärzte und nicht unbedingt in der finanziellen Gier einzelner Mediziner liege.

Während Befürworter der Mammografie argumentieren, dass durch die Früherkennung die Brustkrebs­sterblichkeit deutlich gesenkt werde, halten Kritiker speziell diese Form der Früherkennung für überschätzt. Zu ähnlichen Einschätzungen kommt SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Er sieht zudem die PSA-Tests zur Erkennung von Prostatakrebs kritisch. „Wirklich sinnvoll ist hingegen eine regelmäßige Darmspiegelung, im Normalfall ab dem 50. Lebensjahr“, sagt Lauterbach. Das Risiko eines Darmdurchbruchs sei extrem gering. Damit eine eigenständige Entscheidung künftig besser möglich sei, fordert Lauterbach – wie auch die AOK – nun die Umsetzung des geplanten Gesundheitsportals der Bundesregierung im Internet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort