Krebskranke Politiker Zwischen Leben und Tod

Berlin · Wie der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring den Kampf gegen den Krebs gewonnen und sein Bremer Parteifreund Jörg Kastendiek ihn verloren hat. Über die Gnadenlosigkeit von Politik und Krankheit.

 Mike Mohring

Mike Mohring

Foto: imago-images

Mike Mohring ist Tausende Kilometer entfernt. Eine gute Distanz, um die harte Zeit für einen Moment hinter sich zu lassen. Der 47-Jährige feiert mit engsten Freunden seinen Sieg über den Krebs, als ihn die Nachricht einholt, dass sein Leidensgefährte diesen Kampf verloren hat. Sie beide hatten im Alltag nur sporadisch miteinander zu tun, aber sie teilten eine brutale Besonderheit: Als CDU-Landesvorsitzende, die einen Wahlkampf bestreiten und zugleich um ihr Leben ringen müssen. Mike Mohring in Thüringen, Jörg Kastendiek in Bremen. „Ich habe das Glück, das ihm nicht beschieden war“, sagt Mohring und blickt zu Boden. Man kann ahnen, was ihm jetzt durch den Kopf geht. Kastendiek starb am Montag. Er wurde 54 Jahre alt.

In der Nacht ist Mohring aus dem Israel-Urlaub zurückgekommen. Es ist Donnerstagvormittag. Gerade hat er auf dem Ostdeutschen Unternehmertag in Potsdam gesprochen. Das Politikerleben hat ihn wieder. Ein Leben, das sich für ihn in den vergangenen Monaten verändert hat. Er hat sich verändert. Er habe gelernt, sagt Mohring vor dem weitgehend männlichen Publikum, in ein schwieriges Gespräch mit der Haltung zu gehen, der andere könnte auch recht haben. „Dann ist man stärker.“ Das gelte auf kleiner Ebene genauso wie auf der großen Bühne. Das treffe selbst auf Kanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin zu. In der Kaffeepause gehen Teilnehmer auf ihn zu, legen die Hand auf seine Schulter und wünschen ihm das Allerbeste.

Mohrings Haare wachsen wieder, er hat auch wieder dichte Augenbrauen. Äußerlich sieht man ihm jetzt nicht mehr an, was er durchgemacht hat. Der Schock nach der Diagnose im Herbst, die vielen Untersuchungen, die Chemotherapie. Jetzt sind seine Blutwerte wieder in Ordnung. Er beschreibt sich als gesund. Und ohne Angst. Dass er es überstanden hat, ist auch seinen Eltern, seiner Schwester, seinem engsten Freundeskreis zu verdanken. „Mit Gesprächen, gemeinsamen Spaziergängen, guter Laune. Wir haben auch zusammen geweint, aber sie haben mich nie runtergezogen, sondern immer aufgebaut.“ Eine bleibende Lehre für ihn ist: „Man hat nicht alles in der Hand.“

Am 4. April war Jörg Kastendiek zu einem Telefonat bereit für diesen für Mitte Mai geplanten Text über den gnadenlosen Zweikampf Landtagswahl und Krebserkrankung. In der Politik gibt es keinen Feierabend. Die wenigsten gönnen sich eine Auszeit. Man muss präsent bleiben. Und man ist fremdbestimmt, ein geregeltes Familienleben ist kaum möglich. Kastendiek wollte, dass das Gespräch erst einmal nur dem besseren Verständnis für eine solche Ausnahmesituation dient. Er machte aus seiner Erkrankung zwar kein Geheimnis, aber je weniger sein Gesundheitszustand in der Öffentlichkeit zum Thema wurde, desto lieber war es ihm.  Es war nicht ausgeschlossen, aber fraglich, dass er etwas Persönliches preisgeben würde. In Bremen wird übernächsten Sonntag ein neuer Landtag gewählt. Seit dem Krieg war die Chance für die CDU noch nie so hoch, die SPD erstmals zu überholen und dann womöglich auch erstmals den Bürgermeister zu stellen. Kastendiek, mehr als 30 Jahre in der Politik, hatte dafür seit 2017 auf den Quereinsteiger Carsten Meyer-Heder als CDU-Spitzenkandidaten gesetzt, der auf den ersten Blick gar nicht zu den Christdemokraten passt.  Doch Kastendiek setzte auf Erneuerung.

Als Außenstehender hat man keine Vorstellung davon, wie das ist, einen kräftezehrenden Wahlkampf zu machen und gleichzeitig um sein Leben zu kämpfen. Mit Chemotherapien, Medikamenten, Klinikaufenthalten, Operationen.  Und mit Konferenzen, Klausuren, Parteitagen, Reden. Mohring und Kastendiek waren beim CDU-Bundesparteitag im Dezember in Hamburg dabei, als Annegret Kramp-Karrenbauer Parteichefin wurde. Und als sie den Vorstand im Januar in Potsdam zusammentrommelte. Ein paar Minuten vor Beginn hatte Mohring seine Krebserkrankung mit einem selbst aufgenommenen Video via Facebook öffentlich gemacht. Er kam mit einer Hafenarbeitermütze auf dem Kopf zu der Tagung. Sie wurde binnen weniger Tage Kult. Viele Menschen solidarisierten sich mit Mohring, einige Delegierte in Thüringen setzten sich bei einer späteren Regionalveranstaltung auch eine Wollmütze auf. Gelebte Solidarität. Kastendiek waren schon lange die Haare ausgefallen. Er setzte sich keine Mütze auf und blieb im Hintergrund. So sehr, dass in Potsdam alle Mohring umringten und der Mann aus Bremen keine Blicke auf sich zog. Ihm war das recht.

Er litt an einer seltenen krebsartigen Erkrankung des Lymphsystems. Die Heilungschancen wurden mit 60 bis 70 Prozent angegeben. Das Telefonat im April entwickelte sich zu einem beeindruckenden Gespräch über das Leben, die Hoffnung und die Zuversicht. Nicht über den Tod. Er wollte durchaus überlegen, doch etwas davon öffentlich zu machen. Am Ende sagte er, dass er sich aber für die nächsten Tage ins Krankenhaus verabschiede. Er hat nicht mehr darüber entscheiden können, deshalb bleibt der Inhalt des Gesprächs unveröffentlicht.

Mohring hatte sich für die Öffentlichkeit entschieden. Jeder wählt seinen eigenen Weg. Wichtig ist, das raten die Ärzte, bei sich zu bleiben, und das zu tun, was Entlastung schafft. Alles andere ist ohnehin schon schwer genug. „Die vielen positiven Reaktionen auf mein Facebookvideo haben mir geholfen. Das hat Druck von mir genommen“, sagt Mohring. Und es wäre schön, betont er, wenn die Mitmenschlichkeit, die er erlebt habe, über den Wahlkampf hinausgehe. Thüringen wählt Ende Oktober, Mohring möchte jetzt noch Bodo Ramelow (Linke) besiegen und Ministerpräsident werden.

Viele Menschen hätten ihm zurückgespiegelt, dass er durch seinen Umgang mit dieser Krankheit für sie zu einer Stimme geworden sei. „Für die Öffentlichkeit wurde sichtbar, was die Krankheit mit einem macht, und dass man die Chance hat zu gewinnen.“ In der nächsten Woche wird er in Berlin mit dem „SignsAward“, einem Preis für außergewöhnliche Zeichensetzer in der Kommunikation, in der Kategorie Glaubwürdigkeit ausgezeichnet. Macht Mohring jetzt etwas anders als früher? „Ich habe eine stärkere innere Ruhe bekommen“, erzählt er. Und es sei für ihn viel wichtiger geworden, was sein Gegenüber bewege und trage. „Die Hektik, der Alltag gibt oft den Blick auf den Menschen nicht frei.“ Aber er sei realistisch. Die Politik sei ein Hochleistungsbetrieb. „Aber der Mensch, der Politik macht, ist ebenso verletzlich und nicht ohne Fehler und hat seine Träume.“ Wovon er träumt? „Von unendlich viel Zeit.“

(kd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort