Koalitionsstreit Krach um das "Geschäft mit der Sterbehilfe"

Frankfurt/Main (RPO). Der Hamburger Ex-Justizminister Kusch hat mit seiner Aussage, einer alten Frau beim Sterben geholfen zu haben, eine Debatte um Sterbehilfe und die rechtlich verzwickte Lage in Deutschland ausgelöst. Das deutsche Strafrecht ist kompliziert, wenn es um selbstbestimmtes Sterben geht. Die Große Koalition ist gespalten.

Fakten zur Sterbehilfe in Deutschland
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Foto: ddp

Die Wellen schlagen hoch seit der Ankündigung Kuschs, eine 79-Jährigen beim Sterben unterstützt zu haben. Strafrechtlich gesehen hat er sich offenbar nichts zuschulden kommen lassen. Mehrer Bundesländer wollen gewerbliche und organisierte Sterbehilfe verbieten und unter Strafe stellen lassen. Der Bundesrat befasst sich am Freitag mit einem Gesetzentwurf dazu. Bis zu fünf Jahre Haft sollen nach dem von Hessen, Thüringen und dem Saarland eingebrachten Antrag auf den neuen Straftatbestand der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" stehen.

In der großen Koalition ist der Streit über ein Verbot gewerblicher und organisierter Sterbehilfe entbrannt. Während die Union im Bundestag ein rasches Handeln des Gesetzgebers fordert, lehnt die SPD eine neue Strafvorschrift ab.

SPD: "Diskussion überflüssig"

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Stünker, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Ich halte die Diskussion um einen neuen Straftatbestand für völlig überflüssig." Der Fall Kusch sei kein Argument für schärfere Gesetze, da es sich nach seiner Auffassung um aktive Sterbehilfe handele, die bereits heute strafbar sei.

Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach hielt dagegen, dem "mehr als makaberen Umgang Kuschs und anderer sogenannter Sterbehelfer mit schwerstkranken und alten Menschen" müsse ein Riegel vorgeschoben werden. Wer aus Publicity-Sucht oder Gewinnstreben Selbsttötungen organisiere, handele in hohem Maße sittenwidrig. Der Fall Kusch bestätige schlimmste Befürchtungen, dass selbst relativ gesunden Menschen beim Suizid geholfen werde.

Bosbach appellierte an den Koalitionspartner, sich den Plänen für eine Strafvorschrift nicht länger zu verschließen. "Wir sind uns mit der SPD seit Monaten einig, dass diese Auswüchse nicht hinnehmbar sind." Leider sei bis heute trotzdem nichts geschehen, weil die SPD glaube, das geltende Recht reiche aus. "Das ist aber nicht der Fall", betonte Bosbach.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich gegen jegliche Form aktiver Sterbehilfe ausgesprochen - "in welchem Gewand sie auch immer daherkommt". Die CDU-Politikerin sprach sich am Mittwoch im Sender N24 dafür aus, angesichts des Falls Roger Kusch noch einmal zu überprüfen, welche zusätzlichen rechtlichen Maßnahmen ergriffen werden müssten. Sie sei der Meinung, man solle "ganz hart bei der Position bleiben", dass keine aktive Sterbehilfe geleistet werden dürfe.

"Geschäft mit der Sterbehilfe"

Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, hat ebenfalls gefordert, die organisierte Sterbehilfe unter Strafe zu stellen. "Alles andere würde zu einem regelrechten Geschäft mit Sterbehilfe führen", sagte Hoppe den Dortmunder "Ruhr Nachrichten". Die Sterbehilfe von Kusch kritisierte er heftig. "Das ist unterlassene Hilfeleistung, wenn nicht gar Anstiftung zum Suizid", sagte der Mediziner. Kusch sei es nur darum gegangen, "sich selbst in Szene zu setzen", er habe die Frau "für seine Zwecke missbraucht".

"Dem Einzelnen, der für sich entscheidet, sterben zu wollen, spreche ich dieses Recht nicht ab", ergänzte Hoppe. Andere dürften diesen Wunsch aber nicht verstärken oder gar bei der Selbsttötung helfen. Der Ärzte-Präsident kritisierte besonders, dass die Frau an keinem tödlichen Leiden erkrankt war: "Hilfe beim Sterben kann es nur geben, wenn Menschen bereits todkrank sind."

Die rechtliche Regelung

Beim Thema Sterbehilfe wird generell zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe sowie Beihilfe zur Selbsttötung unterschieden. Eine direkte, aktive Tötung, etwa mit einer Giftspritze, ist auch auf Verlangen strafbar. Erlaubt ist allerdings eine indirekte aktive Sterbehilfe: etwa der Einsatz von Medikamenten, deren Nebenwirkungen die Lebensdauer herabsetzen können. Die aktive Lebensverkürzung wird dabei als ungewollte, aber unvermeidbare Nebenwirkung billigend in Kauf genommen.

Unter passiver Sterbehilfe verstehen Juristen das "Zulassen des natürlichen Sterbens": Hierbei werden lebensverlängernde Maßnahmen wie Beatmung oder künstliche Ernährung unterlassen oder beendet. Auch eine Sterbebegleitung in Form von Beistand, Seelsorge und schmerzstillender Palliativmedizin gilt als passive Sterbehilfe.

Wichtig ist es bei der passiven wie auch der indirekten aktiven Sterbehilfe, den Willen des Patienten zu kennen. Denn - vereinfacht gesagt - ist hier fast alles erlaubt, wenn es dem Willen des Patienten dient. Umgekehrt kann das passive Sterbenlassen eines Hundertjährigen eine Tötung sein, wenn dieser leben will. Hilfreich sind deshalb klar formulierte Patientenverfügungen. Über deren Verbindlichkeit wird im Bundestag gerade gestritten. Mehr als 200 Abgeordnete aus SPD, FDP, Grünen und Linken wollen die Rechtswirksamkeit der Patientenverfügung deutlich stärken. Auf Widerstand stoßen sie dabei vor allem in der CDU/CSU-Fraktion.

Standesrecht der Ärzte verbietet Beihilfe zum Suizid

Problematisch wird es bei der Beihilfe zur Selbsttötung. Das grundgesetzlich garantierte Selbstbestimmungsrecht gibt jedem das Recht, aber nicht die Pflicht zu leben. Da somit in Deutschland eine Selbsttötung straffrei ist, ist auch die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei, wenn sie vor der Tötung stattfindet - also ein Helfer dem Sterbewilligen etwa ein Glas mit Gift hinstellt, das dieser dann selbstständig austrinkt.

Im Gegensatz zum Strafrecht verbietet das Standesrecht den Ärzten in Deutschland jedoch die Beihilfe zum Suizid. So dürfen die dafür geeigneten Wirkstoffe für diesen Zweck nicht verordnet werden, es handelt sich deshalb unter Umständen um einen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz.

Die Bundesärztekammer hatte außerdem bereits vor einiger Zeit erklärt, dass es sich bei einem ärztlich assistierten Suizid aus ihrer Sicht um Tötung auf Verlangen handele. Diese wird laut Strafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren geahndet (§ 216, StGB).

(ap)
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