Lage auf dem Westbalkan Die EU darf sich von Belgrad nicht erpressen lassen
Meinung | Berlin · Gesperrte Grenzübergänge, von Militanten hochgezogene Barrikaden, Truppen in Alarmbereitschaft: rund ums Kosovo steigen die Spannungen. Droht in Europas jüngstem Staat ein neuer bewaffneter Konflikt? Auch wenn nun deeskaliert wird, bleibt es ein Pulverfass.
Die jüngsten Signale sind ermutigender als die Drohkulisse zuvor: Im Konflikt mit dem Kosovo hat Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic den Abbau der Straßenbarrikaden an der Grenze angekündigt. Die seit drei Wochen bestehenden Grenzbarrikaden hatten die Spannungen zwischen Belgrad und Pristina deutlich verschärft. Doch der serbische Präsident machte auch unmissverständlich klar, dass das Misstrauen bestehen bleibe.
Und so wird der Abbau der Blockaden den Konflikt zwischen den beiden Staaten nicht beenden. Der Kosovo bleibt ein Pulverfass, dessen Zündschnur immer kürzer wird. Solange die serbische Regierung die Unabhängigkeit des Kosovos nicht anerkennt, wird es diesen Konflikt weiter geben. Mit der Gefahr, dass sich die Parteien erneut hochschaukeln und die Lage eskalieren könnte.
Das 1,8-Millionen-Einwohner-Land Kosovo mit seiner mehrheitlich albanischen Bevölkerung hatte im Jahr 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt, wird aber von Belgrad bis heute als abtrünniges südserbisches Gebiet betrachtet. Belgrad bestärkt deshalb die rund 120.000 Mitglieder der serbischen Minderheit im Norden des Kosovo immer wieder in ihren Versuchen, sich der Autorität der Regierung in Pristina zu widersetzen.
Derzeit ist vor allem der Einfluss Russlands auf Serbien zum Problem. Nichts erfreut den russischen Präsidenten Wladimir Putin mehr als die EU zu destabilisieren. Mit dem langen Arm Moskaus in Belgrad wird eine Lösung der Kosovo-Frage kurzfristig jedenfalls nicht gelingen. Es kommt eben nicht von ungefähr, dass der Kreml-Sprecher in diesen Tagen betont, dass Moskau und Belgrad „enge Beziehungen“ verbänden, die „historisch und spirituell“ seien.
Spirituell? Die Angriffe, teilweise mit Schusswaffen ausgeführt auf kosovarische Sicherheitskräfte und Soldaten der Nato-geführten Kosovo-Friedenstruppe, haben in den vergangenen Wochen jedenfalls gezeigt, dass sich der Konflikt schnell ausdehnen kann. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine macht ja gerade deutlich, wie wenig Russland die Unverletzbarkeit von Grenzen achtet. Im Schatten Moskaus zündelt der serbische Präsident nun ebenfalls, so hat es den Anschein. Vucic hatte die serbische Armee und die Polizei in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt und damit den Konflikt weiter angeheizt.
Die Bundesregierung, die EU und die USA riefen beide Seiten gebetsmühlenartig zur Deeskalation auf. Ob das künftig reichen wird? Es gilt für die EU nun, Serbien genau unter die Lupe zu nehmen. Das Land ist einerseits offizieller EU-Beitrittskandidat, aber andererseits der engste Verbündete Russlands auf dem Westbalkan. Den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Belgrad zwar verurteilt. Es weigert sich aber, sich den westlichen Sanktionen gegen Moskau anzuschließen. Wo also steht das Land? Der Westen muss schnell handeln, um die Lage zu beruhigen. Und es gibt durchaus Möglichkeiten. Die wirtschaftlichen Verknüpfungen mit der EU sind eng. Viel enger als mit Moskau. Die EU darf sich von Serbien nicht vorführen lassen.