Geldquelle, Vernetzung, Rekrutierung Konzerte stärken die rechtsextreme Szene massiv

Mainz · Die Musikveranstaltungen von Rechtsextremisten sorgen regelmäßig für Schlagzeilen. Der Verfassungsschutz schreibt der Musik "eine nicht zu unterschätzende Rekrutierungs- und Bindungsfunktion" zu. Aber das ist längst nicht das Gefährliche an den Konzerten.

 Polizisten vor dem Gelände des Rechtsrock-Festivals «Tage der nationalen Bewegung» im thüringischen Themar (Archivbild).

Polizisten vor dem Gelände des Rechtsrock-Festivals «Tage der nationalen Bewegung» im thüringischen Themar (Archivbild).

Foto: dpa/FrM

Musik und Konzerte sind wesentlicher Bestandteil der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Oft wurde die Musik als Einstiegsdroge bezeichnet. Jugendliche und Erwachsene würden so geködert und ihnen rechtsextremes Denken schleichend nahegelegt - so ein zuweilen von Politikern und Pädagogen geäußerter Gedanke. Nach Einschätzung des Mainzer Musikwissenschaftlers Thorsten Hindrichs ist diese Sichtweise verharmlosend - denn sie verstelle den Blick auf die eigentliche Funktion der Veranstaltungen. Eine größere Rolle spielen demnach Geld, Vernetzung und Gemeinschaft.

Hindrichs forscht zu Musik, Jugendkultur und Rechtsextremismus und ist Mitglied im rheinland-pfälzischen Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus. "Ohne Musik wären Rechte uninteressant", sagt der Experte. Sie sei Ausdruck und Lebensgefühl vieler junger Menschen. Galt früher vorwiegend Rock als Mittel der Wahl, bietet die Szene heute für jeden Musikgeschmack etwas: Balladen, Rock, Metal, Pop. Aber auch Hip-Hop oder Techno gehören inzwischen zum Repertoire - auch wenn diese Stile vom Ursprung her kaum kompatibel mit rechtsextremistischen Gedanken scheinen.

Immer mitgeliefert wird die inhaltliche Ebene. Im Verfassungsschutzbericht 2018 heißt es: "Sowohl offen als auch unterschwellig werden in zahlreichen Liedtexten rechtsextremistische Feindbilder und Ideologiefragmente verbreitet, entsprechende Denkmuster geformt und verfestigt sowie ein gemeinschaftliches Identitätsgefühl hervorgerufen."

Und: Wie bei anderen Konzerten lässt sich mit Merchandise-Produkten rund um die Bands viel Geld verdienen. Die Gewinne werden laut Verfassungsschutz in rechtsextremistische Aktivitäten und den Ausbau von Strukturen investiert. Aber: "Wohin das Geld fließt, weiß niemand so genau", sagt Beobachter Hindrichs. Vieles spiele sich in einer Parallelgesellschaft mit Parallelwirtschaft ab.

Ein Blick auf die Zahlen: Der Verfassungsschutz registrierte für 2018 in Deutschland etwa 60 Konzerte, 95 Rednerauftritte und 115 Veranstaltungen, die von Musikaufführungen rechtsextremistischer Künstler begleitet wurden. Das ist laut Einschätzung von Experten eher ein Richtwert. "Kein Mensch hat wirklich flächendeckend einen Überblick", sagt Hindrichs. Vor allem Liederabende ließen sich unkompliziert mit wenig öffentlicher Aufmerksamkeit organisieren.

Am Wochenende soll ein solches Rechtsrock-Konzert stattfinden. Deklariert als "Solikonzert" soll es Geld einspielen für den von der NPD Rheinland-Pfalz organisierten "Tag der Deutschen Zukunft" - eine Veranstaltung von Rechten und Neonazis, geplant für Juni kommenden Jahres in Worms. Wo das Konzert stattfindet? Unklar, zumindest für Nicht-Eingeweihte. Die Flyer nennen als Ort "Mitteldeutschland", Einlass nur nach Voranmeldung. Auftreten sollen Gruppen wie Möllnir, Sick Society, Projekt Chaos oder Kraftschlag.

Auch die Vernetzung spielt eine Rolle, die Veranstaltungen bringen Gleichgesinnte zusammen. Die Konzerte sind Erlebnis, stiften Identität und Zusammenhalt. Die Musik trage zudem "auf hoch emotionalisierende Weise dazu bei, dass sich einschlägiges, menschenverachtendes Gedankengut bei seinen Protagonisten verfestigt", heißt es vom Land Rheinland-Pfalz. Das Saarland wertet rechtsextremistische Musik gar als "Kitt der Szene".

Hindrichs Einschätzung nach nimmt die Konzertaktivität derzeit zu, die Szene sei bestärkt. Gerade in Rheinland-Pfalz und im Saarland wirkten sich zusätzlich Faktoren wie der ländlich geprägte Raum und die grenznahe Lage aus: Auf dem Land gebe es je nach Region kaum jugendkulturelle Angebote, sagt Hindrichs. "Wenn die einzigen im Dorf, die Jugendlichen Angebote machen, Nazis sind..."

Sachsen oder Thüringen sind bekannt für Großveranstaltungen der Szene, für Rheinland-Pfalz oder das Saarland registriert der Verfassungsschutz wenige Veranstaltungen - was nicht heißt, dass es kein Publikum gibt. "Die waren im Elsass", sagt Hindrichs. Im November etwa fand in Frankreich das Neonazi-Konzert "Hammerfest" statt, mit Besuchern aus Deutschland. Denn: Der Überblick über rechtsextremistische Veranstaltungen endet oft an der Grenze.

(felt/kna)
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