Debatte um Migration Warum die Politik sich ehrlich machen sollte

Meinung | Berlin · Die Politik sucht unter wachsendem Druck Antworten auf steigende Flüchtlingszahlen, die in vielen Kommunen zu praktischen Problemen führen. Kommt dazu jetzt ein breiter getragener Konsens in Sicht?

 Beamte stehen an einem Grenzübergang (Symbolbild).

Beamte stehen an einem Grenzübergang (Symbolbild).

Foto: dpa/Patrick Pleul

Es scheint, als ob die deutsche Politik an diesem Wochenende alles nachholen will, was sie lange Jahre zuvor versäumt hat. Viele Politiker aus der ersten Reihe meldeten sich zu Wort - mit teils bemerkenswerten Einschätzungen zur Flüchtlingspolitik. Diese Offenheit gab es lange nicht: SPD-Kanzler Olaf Scholz bekannte sich zum Grundrecht auf Asyl, stellt aber mögliche zusätzliche Maßnahmen an der Grenze zu Polen in Aussicht, mahnte effektivere Abschiebungen an und nennt die Lage „schwierig“. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) will auch moralisch schwierige Debatten aushalten, Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) bietet eine parteiübergreifende Zusammenarbeit analog zu den neunziger Jahren bei diesem Thema an. SPD-Chef Lars Klingbeil will Asylverfahren beschleunigen und begrüßt die Ankündigung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien möglich zu machen.

Natürlich, da hat der SPD-Vorsitzende zwar Recht, gibt es nicht die eine „Zaubermaßnahme“, die der illegalen Migration ins Land plötzlich einen Riegel vorschiebt. Aber erstaunlich und gut für die öffentliche Debatte ist es, dass das Land das Thema diskutiert. Den Schaum vor dem Mund wird man weder im rechten noch im linken Lager so ganz wegbekommen. Und dennoch: Den einen eine anti-humanitäre und amoralische Haltung vorzuwerfen, weil man den ungebremsten Zuzug nach Deutschland kritisch sieht ist ebenso falsch, wie die Befürworter eher laxer Aufnahmeregelungen nur für verblendete Ideologen zu halten.

Die Bilder von massenhaften Ankünften auf der italienischen Insel Lampedusa sowie die ohnehin schon angespannte Lage in den Kommunen und Ländern haben eine Debatte ausgelöst, an der sich in der vergangenen Woche mit einem ehemaligen und einem amtierenden Bundespräsidenten auch zwei Staatsoberhäupter beteiligt haben.

Gut so. Denn das Thema Migration ist seit 2015 nicht wirklich angegangen worden. Man war irgendwann einfach nur froh, dass sich die Situation aufgelöst haben zu haben schien. Hat sie nicht. Im Gegenteil, durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die Lage in Europa zusätzlich verschärft.

Der Kanzler sollte den Impuls im Land nutzen und eine große Verständigung suchen, die von möglichst vielen Parteien getragen wird. Die auch Leistungen auf den Prüfstand stellt. Die deutschen Asyl-Regelungen sind eine der großzügigsten weltweit. Natürlich erscheint das wie eine Einladung, wem sollte man das auch verdenken. Und es braucht auch eine sehr klare Ansage an die europäischen Partner. Deutschland trägt die Hauptlast der europäischen Migration. Viele Staaten lösen ihr Problem auch mit dem Fingerzeig auf die deutsche Grenze. Was eigentlich, wenn sich Deutschland auf den Standpunkt stellen sollte, die geltenden Dublin-Regeln doch mal anzuwenden? Und Menschen einfach in die Länder zurückschickt, aus denen sie aus Deutschland einreisen? Es gibt das Recht auf Asyl - ein Menschenrecht. Aber das Recht auf Migration über Grenzen hinweg; das gibt es eben nicht.

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