Blick auf Olaf Scholz Ein Kanzler zeigt Nerven

Meinung | Berlin · Olaf Scholz war immer dann besonders gut, wenn er in der Ecke stand. Wieder kämpft er auf scheinbar verlorenem Posten, verliert Rückhalt selbst in der SPD. Jetzt muss er zeigen, dass er verstanden hat, sein Auftreten ändern und zur Höchstform auflaufen.

Bundeskanzler Olaf Scholz, aufgenommen beim ZDF-Sommerinterview.

Foto: dpa/Thomas Kierok

Olaf Scholz wurde noch nie wirklich geliebt von seiner Partei. Er war immer umstritten, galt sehr vielen Genossinnen und Genossen als zu spröde, uneinsichtig, wenig nahbar. Das hat sich nicht geändert mit der vergangenen Bundestagswahl und seinem Einzug ins Kanzleramt. Es wurde nur lange überdeckt von der Euphorie, der die SPD nach dem Überraschungssieg und dem Eintritt in die Ampel-Koalition beseelt war. All das ist weg, aufgebraucht. Die Ampel ist längst entzaubert, in den meisten Fällen hat sie das selbst vorangetragen. Und auch in der SPD gibt es immer mehr unverhohlene Distanzierungen gegenüber Scholz. Viele erinnern sich nun wieder daran, warum sie ihn 2019 nicht zum Parteivorsitzenden wählten. Sie wollen nicht verstehen, warum der Kanzler in der aktuellen Lage immer so weiter seinen Stiefel durchzieht wie bislang auch. Zig Wahlen gingen für die SPD verloren, mehrfach musste sie Negativrekorde einstecken, die Ampel-Koalition ist so unbeliebt wie kaum eine Vorgängerregierung und für eine weitere Amtszeit von Scholz spricht sich weder eine Mehrheit in der Bevölkerung noch unter SPD-Anhängern aus. Das aktuelle Politbarometer des ZDF liefert dazu düstere Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen.

Allerdings sollte man Scholz nie unterschätzen. Das ging für die Union dramatisch schief, als sie es im vergangenen Bundestagswahlkampf getan hat. Und es könnte sich auch für die SPD rächen, Scholz zu früh aufzugeben. Denn er war immer schon dann am besten, wenn er am stärksten unter Druck stand. Scholz hat Nehmerqualitäten wie kaum ein anderer. Und jetzt kämpft Scholz wieder auf nahezu verlorenem Posten, daraus kann einer wie er neue Kraft schöpfen. Dass Scholz aber so weitermachen kann wie bisher und ihm dann irgendwann doch nochmal die Sympathien der Menschen zufliegen werden – daran scheint man selbst in seinem direkten Umfeld mittlerweile nicht mehr so recht zu glauben. Denn Scholz schlägt mittlerweile etwas neue Töne an. So auch am Sonntag im ZDF-Sommerinterview. Da trat ein Kanzler auf, der immer noch keine Fehler einräumt, in seiner Rhetorik aber schärfer wird. So nahm er sich auch im eng getakteten TV-Format die Zeit heraus, seine Bilanz, seinen Kurs in der Ampel zu erklären. Beispiel Migration: Da verweist Scholz mit Nachdruck auf die größte Wende der vergangenen Jahrzehnte, die man geschafft habe und zeigt sich empört darüber, wenn er mit Fragen konfrontiert wird, die einen falschen Eindruck der Ampel-Politik erwecken würden. Scholz hat zu spät erkannt, dass er sich in manchen Dingen vom teils zerstörerischen Agieren innerhalb der Ampel distanzieren und vielleicht sogar brachialer für Ruhe sorgen muss. Anstrengende Dreierbündnisse wie die Ampel werden wohl das neue Normal, da mag Scholz recht haben. Er muss jedoch erkennen, dass sein moderierender Regierungsstil nicht mehr funktioniert und geändert werden muss. Ob Scholz dazu in der Lage ist, muss am Ende die SPD mit Blick auf die Kanzlerkandidatur entscheiden. Und die ist sich nicht mehr so sicher.