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Gastkommentar Es geht nicht um Herrn Seehofer!

Düsseldorf · Nach der Landtagswahl in Bayern sind die Gründe für das katastrophale Abschneiden von CSU und SPD bei vielen Kommentatoren schnell gefunden. Fragen wie „Muss Seehofer jetzt gehen?“ dominieren den Diskurs. Entscheidender waren aber zwei Ereignisse und ihre Folgen.

 Das Namensschild von CSU-Innenminister Horst Seehofer im Berliner Kabinettssaal. Foto: AP

Das Namensschild von CSU-Innenminister Horst Seehofer im Berliner Kabinettssaal. Foto: AP

Foto: AP/Markus Schreiber

Die SPD verliert in Bayern rund die Hälfte ihrer Wähler, die CSU stürzt ab, die AfD zieht mit einem eher mäßigen Ergebnis nun auch in den bayerischen Landtag ein. Die Grünen feiern einen Triumph mit Zuwächsen von vormaligen CSU- und SPD-Wählern. Trotzdem hat es keine Verlagerung zugunsten des linken Spektrums gegeben, da Freie Wähler und AfD die Verluste der CSU ausgleichen.

Die meisten Analysen zu diesem Ergebnis bleiben bemerkenswert oberflächlich. Ja, das Verhalten von Bundesinnenminister Horst Seehofer hat eine Rolle gespielt, auch das von Bundeskanzlerin Angela Merkel, das Luftikus-Image von Markus Söder, das ungünstige Erscheinungsbild der Groko ohnehin. Und nun lautet die wichtigste Journalistenfrage: „Muss Seehofer jetzt gehen?“ Aber ist das wirklich die entscheidende Frage?

Wenn das Alter der Beteiligten nicht dagegen spräche, würde ich sagen: „Kinder, schaut doch mal genauer hin!“ Wann ist die AfD entstanden? Als sich endgültig herausstellte, dass die Währungsunion nicht zu ökonomischer Konvergenz führt, wie behauptet, und sich bei der Finanzkrise „No Bail Out“ als leeres Versprechen entpuppte.

Seit wann erodieren die Werte für Merkel und die CDU? Als sie sich ohne jede europäische Abstimmung, ohne Parlamentsentscheid und ohne Migrations-Konzept für die nachhaltige Öffnung der deutschen Grenzen entschied. Bis heute hat die Kanzlerin der Flüchtlingskrise kein Wort darüber verloren, wie sie sich die Gestaltung der Migration in der Zukunft vorstellt. Klar ist nur: Sie selbst habe in der Flüchtlingskrise keine Fehler gemacht. Die CDU leidet nicht so sehr an den realen Auswirkungen der Merkelschen Migrationspolitik, sondern an ihrer konsequenten Diskursverweigerung.

Und die SPD macht seit Jahren soziale Gerechtigkeit zu ihrem zentralen Thema und bewegt nichts! Warum? Weil die Ungleichheit weltweit weiterhin rasant steigt. In Deutschland gab es die Agenda-Reformen unter Gerhard Schröder, die entgegen der Rhetorik von links die wachsende Ungleichheit erst einmal gestoppt haben. Aber auch hier wird das Leben teurer, vor allem in den Städten aufgrund der steigenden Mieten. Gleichzeitig erodieren die Einkommen der breiten Arbeitnehmerschaft. Bahn und Post sind privatisiert, der Staat verschlankt, die Finanzmärkte entfesselt. Die Sozialdemokratie hat darauf keine Antworten.

Bei der großen technologischen Veränderung, der Digitalisierung, haben beide Volksparteien die Entwicklung schlicht verschlafen. Jetzt soll nachgeholt werden, was jahrelang versäumt worden ist. Aber das jahrelange Nichtgestalten hat die Menschen verunsichert. Große Teile der Bevölkerung haben eine unbestimmte Angst vor der Zukunft, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt und weil sie die politischen Akteure als entscheidungsschwach und ratlos erleben.

Die Zustimmung zu den traditionellen Parteien sinkt weltweit, weil sie angesichts von Globalisierung, Digitalisierung und sozialer Erosion keine Lösungskompetenz entwickelt haben. Wie war das nochmal mit der breiten Bewegung in Europa gegen das Freihandelsabkommen TTIP? Die SPD war in Gestalt ihres Parteivorsitzenden und Wirtschaftsministers für TTIP. In den USA positionierte sich aber sogar Hillary Clinton gegen Freihandel und Präsident Donald Trump räumte die Verträge unter dem Beifall der weißen Arbeiter in den USA ab. Seitdem gibt es keine Regung vonseiten der europäischen Sozialdemokratie. Die USA sind jetzt ein falscher Freund, klar, aber was wäre denn die soziale Alternative zu einer Globalisierung, die vom Washington Consensus  – Staatsabbau, weniger Steuern, weniger Schulden, Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge  – geprägt war? Sendepause.

Der Modus des Durchwurstelns funktioniert in dieser Welt nicht mehr. Doch die Protagonisten halten es weiterhin für die wichtigste politische Frage, ob ein Innenminister seinen Hut nehmen muss.

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