Kolumne: Gesellschaftskunde Wunder am Morgen

Frühaufstehen kann das Leben bereichern – oder noch ermüdender machen.

 Nur der frühe Vogel erlebt den Sonnenaufgang.

Nur der frühe Vogel erlebt den Sonnenaufgang.

Foto: dpa/Uwe Zucchi

Wäre es nicht schön, das Leben wirklich auszukosten? Man könnte den Tag etwa früher beginnen – mit Routinen, die Körper und Geist wohltun – und auf diese Weise Freiraum gewinnen, noch ehe die anderen die Augen aufgeschlagen haben. Ratgeber wie „Miracle Morning“ von Hal Elrod sind mit solchen Rezepten erfolgreich. Sie geben Anleitung für einen positiven Start in den Tag mit Meditieren, Lesen, Bewegung und Autosuggestion. Wer am Morgen Wunder erleben will, soll sich positive Sätze sagen wie „Du schaffst das“ oder sich Erfolgsszenen in Erinnerung rufen. Vor allem wird das frühere Aufstehen gepredigt.

Die Extrastunde vorneweg kann man dann ganz für sich verwenden. So soll aus einem selbstbestimmten Morgen ein erfolgreicher Tag werden. Und aus guten Tagen ein insgesamt erfülltes Leben.

Nun ist es eine alte Wahrheit, dass Morgenstund Gold im Mund hat. Zumindest, wenn man nicht schlafverkatert zur Frühschicht muss. Auch die Selbstbeeinflussung durch Positivsätze ist zwar auch nur eine Form der Manipulation, doch können aufbauende Gedanken am Morgen wohl nicht schaden, wenn danach oft weniger Erbauliches folgt.

Die Attraktivität solcher „Verändere dein Leben!“-Konzepte liegt aber wohl in der Verheißung von Zeitgewinn. Die Idee, sich einfach etwas Schlaf abzuknapsen, dafür ungestört für sich sein zu können, ist in einer abgehetzten Gegenwart überaus reizvoll. Die Tage der meisten Menschen sind so durchgetaktet und vollgestopft, dass überhaupt nur noch der Morgen bleibt, um noch ein Fenster in die Freiheit aufzustoßen.

Doch wird das nur funktionieren, wenn die Stunde vorneweg nicht bald dazu dient, noch mehr in den Tag zu quetschen. Sonst ist das Wunder am Morgen nur eine Pflicht mehr.

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Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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