Kolumne: Total Digital Roboter sind keine Rassisten

Seattle · Falls wir uns Sorgen machen mussten, dass Roboter bald nicht nur vorgestanzte Phrasen äußern, sondern sich auch mit uns Menschen unterhalten können und vielleicht sogar miteinander ganz ohne uns, dann ist diese Fantasievorstellung in der vergangenen Woche erst einmal geplatzt.

Kolumne: Total Digital: Roboter sind keine Rassisten
Foto: Langer

Keine 24 Stunden dauerte es, bis ein von Microsoft entwickelter twitternder Roboter namens Tay aufgrund von Trollen zu einer hasserfüllten Stimme im Netz mutierte, ein Nutzerprofil beim Kurznachrichtendienst Twitter, aus dem sich automatisiert soviel Homophobie ins Internet ergoss, dass Microsoft sich gezwungen sah, das Experiment in puncto künstliche Intelligenz ganz schnell wieder zu beenden.

Doch ein Roboter ist kein Rassist. Er kennt keine Moral, und sei sein Algorithmus noch so ausgeklügelt, übernimmt und variiert er doch nur ohne eigenes Werturteil Sprachfetzen, mit denen er gefüttert wird. In diesem Fall waren es leider faschistoide Parolen in 140 Zeichen.

Das finde ich schade, denn aus dem Tweetbot Tay hätte auch eine humorvolle Instanz werden können. Oder er hätte sich auf mehr oder weniger passende Lebensweisheiten spezialisieren können.

Warum auch nicht? Auch Siri, der Sprachsteuerung im iPhone, werden Fragen zum Sinn des Lebens gestellt. Tay hätte Börsentipps geben, zum Sportreporter mutieren oder kritische Kommentare zu Fernsehshows abgeben können. Wäre Tay in Deutschland entwickelt worden, hätte er in den Chor der "Tatort"-Twitterer einstimmen können.

Am Thema sprachgesteuerte künstliche Intelligenz interessierte Netzbewohner hätten vielleicht Antworten auf viele Fragen bekommen. Kann ein Roboter aktuelle Ereignisse kommentieren? Schon heute werden in den USA immer mehr Sportberichte von Algorithmen verfasst. Neu wäre, wenn einer auch an Stammtischgesprächen im Netz teilnehmen kann, ohne als Roboter aufzufallen. Was mich auch interessiert hätte: Bringt ein Twitterbot, der Stimmungen auswertet, bessere Vorhersagen hervor als menschliche Experten? Schon heute wertet die Filmindustrie insgeheim Stimmungsanalysen im Netz aus, um herauszufinden, ob ein neuer Kinofilm ein Hit oder ein Flop wird. Tay hätte herausposaunt, was er weiß.

Ob Tay eine eigenständige Form von Humor entwickeln kann, ob er mit Ironie umgehen und andere sprachliche Feinheiten verarbeiten kann — das werden wir vorerst nicht erfahren. Jedenfalls nicht, bis endlich ein Weg gefunden wird, Trollerei in sozialen Netzwerken in kleine dunkle Ecken zu verbannen.

Ulrike Langer ist Korrespondentin an der US-Westküste und Digital-Expertin. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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