Kolumne: Total Digital Mein persönliches Satellitenauge

Seattle · Das Digitalfestival SXSW in Texas bot einen Blick in die Zukunft, in der Satellitenkameras Bilder in Echtzeit auf Smartphones streamen.

Kolumne: Total Digital: Mein persönliches Satellitenauge
Foto: Langer

Von den Eindrücken des Digitalfestivals South by Southwest (SXSW) werde ich noch eine Weile zehren. Diese Vision will ich Ihnen auf keinen Fall vorenthalten. Wenn es stimmt, was Pavel Machalek erzählte, dann werden wir in fünf bis zehn Jahren alle in Echtzeit per Smartphone auf Daten zugreifen können, die derzeit nur die Nasa, Wissenschaftler oder Geheimdienste zu sehen bekommen.

Machalek ist Mitgründer der Agentur Spaceknow, die Satellitenbilder für die Finanz- und Baubranche sowie für die Regierung auswertet. Er prognostiziert, dass ein Großteil der Bilder, die Satelliten zur Erde funken, uns künftig genauso zur Verfügung stehen werden wie das Internet, Fernsehen oder Radio. Ob und wie wir die Aufnahmen nutzen, ist natürlich eine andere Frage. Wir reden hier wohlgemerkt von Bildern in einer Auflösungsqualität, die aus dem All die Schlagzeilen einer auf dem Boden ausgebreiteten Zeitung erkennen lässt. Von der Privatsphäre auf der eigenen Terrasse wird dann nicht mehr viel übrig bleiben. Da muss dann nicht einmal mehr der Nachbar seine nervige Kameradrohne kreisen lassen.

Abgesehen von gruseligen Big-Brother-Szenarien kann ich mir aber auch nützliche Anwendungen für die Echtzeitkamera. Schon heute sagen mir Google Maps oder die Verkehrsapp Waze, die auch zu Google gehört, wo genau ein Stau beginnt, wie lang er ist, und welche Strecke jetzt gerade schneller ist. Aus der Kameraperspektive von oben werde ich künftig auch noch wissen, ob tatsächlich alle Fahrspuren im Stau stecken oder ob die Autos auf der "Car-Pool-Lane", die nur Fahrgemeinschaften ab mindestens zwei Personen nutzen dürfen, ganz locker an den anderen vorbeifahren können.

Mein persönliches Satellitenauge assistiert mir dann auch in der Freizeit. In Seattle gibt es Dutzende Badestrände. Manche sind im Sommer viel zu voll, andere fast menschenleer. An welchem Badeplatz gerade Hochbetrieb herrscht, das merkt man immer erst, wenn man da ist. Ab dem Jahr 2022, spätestens aber 2027, werde ich mein Kameraauge im All vorab auskundschaften lassen, wo ich im Sommer mein Handtuch ausbreiten kann.

Nach dem sonnigen Badetag steuere ich einen Biergarten an. Natürlich eine Location, die nicht schon überfüllt ist. Wo jetzt gerade noch was geht, sagt mir meine Satellitenapp. Dumm nur, dass bis 2022, spätestens bis 2027, wahrscheinlich jeder auf diese Idee kommen wird.

Ulrike Langer ist freie Korrespondentin an der US-Westküste und Digital-Expertin. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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