Total Digital Sorry, George Clooney!

Seattle · Ich bin im Banjo-Fieber, meine Musikschule ist Youtube. George Clooney bekäme jedoch Ohrenschmerzen, wenn er hören könnte, wie ich die Melodie aus dem Film "O Brother, Where Art Thou?" verunstalte.

"Total Digital" - Ulrike Langer berichtet von der US-Westküste
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Seit einer Woche spiele ich Banjo. Genauer gesagt: 5-String-Banjo im Bluegrass-Stil. Nun gut, spielen kann man das noch nicht wirklich nennen. Aber die Fingerübungen gelingen schon flüssiger als ganz am Anfang.

Ich kann nicht einmal die einfachsten Akkorde auf der Gitarre greifen und bin nun auf einmal im Banjo-Fieber, seit ich vor einigen Wochen auf einem mitreißenden Bluegrass Konzert war. Seitdem höre ich über die Musik-Streaming-Plattform Spotify Bluegrass beim Kochen, Bügeln und Laufen. Das ist für mich Gute-Laune-Garantie. Mit Bluegrass koche ich raffinierter, bügele sorgfältiger und laufe schneller.

Youtube als Musikschule

Vor einer Woche schließlich besuchte ich mit einem Freund, eigentlich nur zum Stöbern, einen Gitarrenladen in Portland. Anschließend war ich um ein gebrauchtes Banjo, ein kleines elektronisches Stimmgerät und ein paar Fingerpicks reicher. Zwei Lehrbücher für Banjo-Anfänger habe ich mir auch angesehen, aber nicht gekauft. Und einen Lehrer habe ich auch nicht.

Meine Musikschule ist die Internetplattform Youtube, wo es Tausende von Lehrvideos gibt - und zwar für alle möglichen Instrumente, Musikstile und Schwierigkeitsgrade. Angefangen habe ich mit den Fingerübungen für die rechte Hand: "Free Banjo Lessons", "Banjo Lesson: Beginner Rolls" und "Beginning Bluegrass Banjo 1 bis 4" hieß es da. Anschließend kamen die Akkorde an die Reihe.

George Clooney bekäme Ohrenschmerzen

Mittlerweile versuche ich mich auch schon an "Man of Constant Sorrow", dem Radio-Hit aus dem Film "O Brother, Where Art Thou?". Mit diesem Song im Gepäck zieht ein aus einer Sträflingskolonne geflohenes Trio mit einem pomadigen George Clooney in der Hauptrolle als fiktive Band "The Soggy Bottom Boys" durch den amerikanischen Süden der Depressionsjahre.

Clooney bekäme Ohrenschmerzen, wenn er hören könnte, wie ich diese ikonische Melodie verunstalte. Aber ich habe ja noch 99 Prozent der immensen Lehrvideothek ungenutzt vor mir. Das Ziel der Musiklehrer, die bei Youtube ihre Tipps und Techniken kostenlos zur Verfügung stellen, ist natürlich Kundenbindung. Denn die Verweise auf ihre jeweiligen Websites sind reichlich, und dort gibt es Material zu kaufen, das mehr in die Tiefe geht.

Mittlerweile verstehe ich auch meine Tochter viel besser, die vor einem Jahr ihrem Gitarrenlehrer den Laufpass gab und sich seitdem lieber Gitarre per Youtube und diversen Apps selbst beibringt. Eigentlich könnten wir ja auch mal zusammen spielen. Wenn bloß meine Tochter nicht stets das Weite suchen würde, sobald ich mein Banjo auspacke.

Ulrike Langer ist freie Korrespondentin an der US-Westküste und Digital-Expertin. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de. Oder folgen Sie ihr auf Twitter.

(RP)
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