Kolumne: Mit Verlaub! Rechtstreue ist im Euroland "oldschool"
Wo bleibt eigentlich der Bundespräsident als Levitenleser gegen politische Regelverletzer im Euro-Raum? Wer außer Linkspartei-Marxisten möchte in einer Tsipras-EU ohne Respekt vor dem Recht leben?
Wieso bloß diese Diskrepanz zwischen der kleinen und der großen (Rechts-)Lage!? Der Deutsche pocht gerne auf das, was er im Brustton tiefer Überzeugung "mein Recht" oder gesteigert "mein gutes Recht" nennt. An Gartenzäunen werden oft Kinkerlitzchen zu Rechtsstreitigkeiten unter Einbeziehung von Richter- und Anwaltschaft aufgepumpt.
Aber wenn Regierungen der EU-Länder Verträge brechen und das Recht irgendeinem höheren politischen, währungspolitischen Zweck opfern - dann akzeptieren das viel zu viele von uns schulterzuckend. Wer nimmt schon die Mahnungen eines Rechtsgelehrten wie Paul Kirchhof ernst? Der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht sagt und schreibt seit Jahren eindringlich, die EU stecke in der Krise, weil das Recht missachtet wurde. Der Mahner gilt wenig im eigenen Land. Dazu passt, dass ein Bundeskanzler (Gerhard Schröder), in dessen Amtszeit den Athener Bilanzfälschern und Vertragsverletzern der Weg in die einst als Rechtsgemeinschaft gedachte Währungsunion geebnet wurde, einen wie Kirchhof als "Professor aus Heidelberg" verächtlich gemacht hat.
Ich empfinde es als ärgerlich, dass es unser Bundespräsident offenbar nicht für nötig hält, einmal ein paar sehr ernste und meinetwegen sehr goldene Gauck-Worte zum Wert des Rechts in Europa und vor allem dessen strikter Befolgung zu sagen. Man fragt sich: Wozu ist eigentlich ein Staatsoberhaupt da, wenn nicht dazu, zu den Grundlagen des Staates und auch der Europäischen (Rechts-)Gemeinschaft zu sprechen - und den EU-Rechtsbrechern bzw. fintenreichen Rechtsinterpreten zwischen Athen, Rom, Paris und Berlin die Leviten zu lesen?
Viele Euro-Staaten machen mehr Schulden, als ihnen das Recht erlaubt; die allermeisten überspringen bewusst die Gesamtverschuldungs-Hürde, die sie sich selbst errichtet haben. Das Recht, ohne dessen Beachtung es im privaten, im geschäftlichen und im staatlichen Miteinander drunter und drüber ginge, wird in der Euro-Zone grob missachtet. Und wenn die Zentralbank am Rande der Rechtmäßigkeit Staatsfinanzierung betreibt, schlägt ihr Bewunderung für Kreativität entgegen. Was kümmern Einwände der Bundesbank? Rechtstreue bekommt das Brandzeichen "oldschool". Wer in der Euro-Zone Regeln in Fülle gebrochen hat, braucht sich nicht über einen Radikalen wie den Berufslinken Tsipras zu wundern. Möchte irgendjemand außer Linkspartei-Marxisten in einer Tsipras-EU ohne Respekt vor dem Recht leben?
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