Kolumne: Mit Verlaub! Für ein neues Denken beim Asylrecht

Düsseldorf · Schon 1992 plädierte Bundeskanzler Helmut Kohl für ein europäisches Asylrecht. Dafür wird es höchste Zeit. Den Rechtspopulismus-Vorwurf gilt es auszuhalten.

Kolumne: Mit Verlaub!: Für ein neues Denken beim Asylrecht
Foto: Michels

Beim Durchstöbern der historischen RP-Zeitungsseiten "Unser Helmut Kohl" stieß ich auf ein Interview von 1992 mit dem damaligen Bundeskanzler. Es ging um die damals wie heute missbrauchte deutsche Asylrecht-Großzügigkeit. Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sagt zurecht, dass "das Asylrecht zu einem Einwanderungsgesetz mutiert"; jeder, der halbwegs verständlich das Wort "Asyl" über die Lippen bringe, erhalte faktisch ein Bleiberecht, das mit Hilfe "ganzer Kompanien von Anwälten in die Länge gezogen wird".

Helmut Kohl machte 1992 ebenfalls auf die Spezialität des deutschen Grundrechts auf Asyl aufmerksam. Er sagte, dass der massenhafte Zustrom von Asylbewerbern und der gewaltige Missbrauch des Grundrechts zu unhaltbaren Zuständen in unseren Gemeinden geführt hätten. Kein Land Europas sei bereit, unser Asylrecht zu übernehmen. Wir brauchten ein europäisches Asylrecht.

Heute würden Schily und Kohl von bestimmten, ungeniert linkspopulistisch aktiven Kreisen unter die "Rechtspopulisten" sortiert. Ein Jahr nachdem Kanzler Kohl vor dem Hintergrund von jährlich rund 400.000 Asylbewerbern die Alarmglocken geläutet hatte, gelang im Wege der Verfassungsänderung eine Reform des Asylrechts: Wer künftig über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland einreiste, hatte grundsätzlich keinen Anspruch mehr, als politisch verfolgt anerkannt zu werden. Am faktischen Bleiberecht, an einer fatalen "Kultur der Duldung" (Dirk Schümer), an der eklatanten Diskrepanz zwischen angeordneter Abschiebung und effektivem Vollzug des Verwaltungsaktes änderte auch die Reform von 1993 wenig.

Ein europäisches Asylrecht gibt es bis heute leider nicht. Der jetzigen Regierung ist nicht einmal die von Kanzlerin Angela Merkel proklamierte "nationale Kraftanstrengung" gelungen. Wie sollte sie auf europäischer Ebene erfolgreich sein? Bereits im Jahr 2000 regten Teile der Unions-Fraktion, darunter der fabelhafte Alleinunterhalter Wolfgang Bosbach, an, das Grundrecht auf Asyl aufzugeben und die Asylgewährung als souveräne Staatsentscheidung zu gestalten.

Tenor: "Die Bundesrepublik Deutschland gewährt politisch Verfolgten Schutz. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz." Einwänden, eine in diesem Sinn europaeinheitliche Asylrechtsreform der Vernunft sei des christlichen Abendlandes unwürdig, könnte man Jesu Rat an seine Jünger entgegenhalten: "Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben."

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(mc)
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