Kolumne: Mit Verlaub! Drei große Kanzler und dann Schröder

Der siebte Bundeskanzler steigt in der Rückschau immer mehr im Ansehen: als mutiger Reformer im Innern und als weitsichtiger Irakkriegs-Gegner.

Nicht selten steigen Regierende erst posthum oder jedenfalls geraume Zeit nach dem Ende ihrer politisch aktiven Zeit auch im Ansehen derjenigen, die früher Vorbehalte pflegten oder gar Abneigung empfanden. Die Bundeskanzler Konrad Adenauer (1949-1963) und Willy Brandt (1969-1974) sind Beispiele dafür. Adenauers und Brandts Weichenstellungen (hier die politische und wirtschaftliche Verankerung der Bundesrepublik im Westen, dort die forcierte Aussöhnungspolitik mit den ideologischen Rivalen im Osten) wurden zu Lebzeiten der beiden Großen von parteipolitischen Gegnern erbittert bekämpft, sogar verunglimpft. Manchmal braucht das Auge der Geschichte zu viel Zeit, um scharf zu sehen. Bei Adenauer und Brandt ist das letztlich gelungen.

Bundeskanzler Helmut Kohl (1982-1998), von fehlsichtigen linksliberalen Parteigängern eine Zeit lang verspottet, erlebte noch im Amt, wie die Spötter öffentlich den Hut vor ihm zogen. Rudolf Augsteins legendäres "Glückwunsch, Kanzler!" war sichtbares Zeichen dafür, dass sich der Kreis der gerecht Urteilenden schlagartig erweiterte, nachdem der Kanzler 1989/90 den Zipfel vom Mantel der Geschichte gepackt hatte und zum "Kanzler der Einheit" aufstieg, als die Historie zu einem ihrer seltenen Tigersprünge ansetzte. Der Schriftsteller Reinhold Schneider sagte es einmal treffend so: "Geschichte ist unerbittlich: Sie gewährt die Tat nur ein einziges Mal und verzeiht es nicht, wenn die Stunde der Tat versäumt ist."

Unterhalb dieser drei wirkmächtigen Bundeskanzler schiebt sich ganz langsam zwar, aber deutlich spürbar der innenpolitische Reformkanzler Gerhard Schröder auf die vorderen Plätze allgemeinen Ansehens. Schröders anfangs hoch umstrittenes Arbeitsmarkt-Modernisierungsprojekt bleibt bis heute ein Exempel für großen politischen Mut gegen kleinkarierte Widerstände bei Gewerkschaften und in der eigenen Partei. Bemerkenswerterweise erhielt der SPD-Altkanzler den Ludwig-Erhard-Preis. Mehr Anerkennung von der politischen Konkurrenz ist kaum möglich. Und noch etwas hebt den siebten Kanzler in der Rückschau immer mehr hervor: sein zwar diplomatisch ruppiges, aber weltpolitisch ungemein weitsichtiges Nein zum Angriffskrieg gegen den Irak. Dank Bundeskanzler Schröder hat Deutschland an diesem Kriegsverbrechen, dessen gewaltige negative Verwerfungen weit über den Mittleren Osten wir alle gegenwärtig spüren, nicht teilgenommen. Auch Konservative von links und rechts sollten mit Kanzler Schröder endlich ihren Frieden machen.

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(RP)
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