Corona, Bundeswehr, Sozialwesen Die Pflicht hat Konjunktur

2020, das war bisher: viel Zwang, wenig Freiheit. Dass eine Krankheit über große Teile unseres Alltags verfügt, müssen wir vorerst akzeptieren. Das große Wunschkonzert der Politik, was neue Pflichten angeht, sollte uns dagegen skeptisch machen.

 Schild an einem Geschäft in Stralsund.

Schild an einem Geschäft in Stralsund.

Foto: dpa/Stefan Sauer

In diesem ersten Corona-Halbjahr waren die meisten von uns deutlich weniger selbstbestimmt als in normalen Zeiten. Maskenpflicht, Abstandspflicht, Registrierungspflicht, Lockdown, Absagen, Verbote – 2020 hat’s nicht so mit der Freiheit. Da passt es, dass seit Kurzem wieder über Wehr- und Dienstpflicht diskutiert wird, wenn auch mit anderen Begründungen als dem Kampf gegen die Pandemie. Die Pflicht hat Konjunktur; vielleicht auch, weil uns bewusst geworden ist, dass die Umstände bisweilen ungeahnt einschneidende Maßnahmen erfordern.

Aber etwas Differenzierung tut gut. Denn wir reden von zweierlei Pflichten: Die einen (Masken und so weiter) lassen sich wissenschaftlich begründen; sie sind medizinisch naheliegend, ja geboten. Die anderen (Wehr- und Dienstpflicht) sollen politisch erwünschte Zustände herbeiführen. Zustände, gewiss, an denen niemand von Verstand etwas aussetzen wird: weniger Rechtsextremismus in der Truppe durch bessere Einbettung in die Gesellschaft einerseits, mehr soziales Engagement und allgemein höherer Zusammenhalt andererseits.

Abgesehen davon, ob die Mittel geeignet und überhaupt verfassungskonform sind: Ein Lebensjahr der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen, mag honorig sein, ist aber politisch-kulturell schwer zu begründen, in diesen Zeiten des allgemeinen Zwangs erst recht. Es gibt reichlich andere, weniger freiheitsbeschränkende Mittel, vom härteren Vorgehen gegen verfassungsfeindliche Netzwerke in der Bundeswehr bis zur besseren Bezahlung von Pflegekräften.

Pflichten hat Friedrich Nietzsche definiert als die „Rechte anderer auf uns“. Dass eine Krankheit über unseren Alltag verfügt, müssen wir vorerst akzeptieren. Beim großen Polit-Pflichten-Wunschkonzert dagegen ist eine gute Portion Skepsis angebracht.

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