Hier In Nrw Was ist schon ein Brot, wenn man im Überfluss lebt?

Wer um die 60 ist, weiß, dass früher daheim oft Schmalhans Küchenmeister war. Der Sonntagsbraten, so es ihn überhaupt gab, war der kulinarische Höhepunkt der Woche. Ansonsten wurden Salzheringe, Pferdewurst und Kunsthonig aufgetischt.

Wer in den frühen 50er Jahren geboren wurde, hat zum Glück nicht mehr am eigenen Leib erleben müssen, was Hunger bedeutet. Hungerdemonstrationen hatte es 1946 und 1947 an Rhein und Ruhr gegeben. Damals forderten die aufgebrachten Menschen von der britischen Besatzungsmacht eine höhere Kalorien-Zuteilung auf ihren Lebensmittelkarten.

Es war die Zeit, in der Frauen und Männer auf den Feldern und von Eisenbahnwaggons "organisierten", was sie zum Überleben brauchten. Der Kölner Erzbischof, Josef Kardinal Frings, zeigte in einer Predigt Verständnis dafür, woraufhin im Rheinland der Mundraub rasch als "Fringsen" bezeichnet wurde.

Die Generation 60 plus erinnert sich, dass daheim oft Schmalhans Küchenmeister war. Der Sonntagsbraten, so es ihn gab, war der kulinarische Höhepunkt der Woche. Ansonsten wurden (billige) Salzheringe (die aus dem Holzfass), Pferdewurst und selbst angesetztes Sauerkraut aufgetischt. Aus dem Kühlschrank leuchtete knallroter Lachs-Ersatz entgegen. Von Sago ("Froschaugen") und Brotsuppe gar nicht zu reden. Auf dem Frühstückstisch standen Caro- oder Lindes-Kaffee (der mit den blauen Punkten; auch Muckefuck genannt) sowie Vierfrucht-Marmelade oder Kunsthonig (schmeckte gar nicht so übel). Als Brotaufstrich diente Margarine; Butter war etwas Besonderes — weshalb man respektvoll von "guter Butter" sprach (manch Ältere tun das heute noch). Wer einen Garten besaß, düngte die Gemüsebeete mit selbst aufgelesenen Schafskötteln, und natürlich sammelten die Kinder übrig gebliebene Kartoffeln vom Acker.

An all das wurde ich neulich beim Joggen erinnert, als ich auf einem abgeernteten Feld viele rötliche Inselchen bemerkte. Das waren maschinell herausgerupfte Möhren, die wegen ihrer Größe oder Form wohl nicht verwertbar erschienen. Also bleiben sie liegen, bis sie untergepflügt werden. Schade, doch symptomatisch für unsere Überflussgesellschaft.

Ein anderes Ärgernis: In manchen Bäckereien kann man beobachten, wie Verkäuferinnen frische Brotlaibe aus der Backstube holen und sie dann im Laden auf die schräge Auslage hochwerfen. Mitunter rutscht dann eines der Brote herunter und landet mit dumpfem Aufschlag auf dem Boden. Und dann? In den Verkauf dürften diese Brote wohl nicht gelangen. Also ab in die Tonne oder in den Tierfutter-Sack? Dieser Gedanke berührt unangenehm. Auf die Idee, die Brotregale fürs Personal bedienungsfreundlich abzusenken, scheint man nicht zu kommen. So ist das eben, wenn man im Überfluss lebt.

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(RP)
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