Kolumne: Gott Und Die Welt Wie weit reicht unsere Fähigkeit des Mitleidens?

Unser Mitleid mit Opfern von Katastrophen ist oft dann besonders groß, wenn die Betroffenen aus unserer Stadt oder unserem Land stammen.

Auf die Flugzeugkatastrophe in der Ost-Ukraine folgte jetzt ein weiteres Unglück über Mali. Mit Hunderten von Toten, die es zu beklagen, zu betrauern, zu beweinen gilt. Nach dem Schock über das Unfassbare stellt sich uns - den Betrachtern und persönlich nicht betroffenen Nachrichtenkonsumenten - die Frage, wie weit unser empfundenes Mitleid tatsächlich reicht. Aber meist wird die Frage nach der möglichen Reichweite unserer Empathie mit der Nachricht selbst beantwortet - wenn es dann heißt: "Auch Deutsche unter den Toten". Schwingt in dieser Information Zynismus mit? Oder Nationalismus, indem unser Mitleiden durch die Staatsangehörigkeit hervorgerufen und verstärkt wird? Oder ist es eine latente Form von Rassismus, wenn das Schicksal von Europäern unsere Aufmerksamkeit und Betroffenheit nachhaltiger bedient als das vergleichbare Unglück von Afrikanern oder Asiaten? In "Träume", dem gleichermaßen berühmten wie damals kontrovers diskutierten Hörspiel von Günter Eich aus dem Jahr 1951, findet sich der unglaubliche Satz: "Alles, was geschieht, geht Dich an!" Ein Verdikt voller Wahrheit, aber auch ein moralischer Anspruch, der einen bedrängt, weil er unerfüllbar und letztlich unlebbar ist. Das Mitleiden beschreibt viel mehr eine Gefühlsregung anderen Menschen gegenüber. Es beschreibt unsere moralischen Grundlagen und in Abgrenzung zu anderen Menschen auch unsere Identität.

Für den Philosophen Arthur Schopenhauer gibt es drei Triebfedern unseres Handelns: den Egoismus, die Bosheit und das Mitleid. Im Egoismus dominiert die Sorge um das eigene Wohl, bei der Bosheit das Interesse am fremden Leid - und beim Mitleiden das Wohl fremder Menschen. Wir übersteigen uns selbst beim Mitleid, in dem wir uns in unserer Vorstellung mit anderen Menschen zum Teil identifizieren. Am Leid der anderen mitzuleiden, das können aber immer nur Phantomschmerzen bleiben. Und manchmal dauert unsere Anteilnahme kaum länger als die Nachricht selbst. Mitleiden ist so auch eher eine Haltung. Wir stecken eben nicht in der Haut eines anderen. Aber dass wir uns überhaupt mit ihm identifizieren und uns das Unvorstellbare vorzustellen versuchen, liegt auch daran, dass die Opfer in unserer Fantasie erkennbar werden. Und das fällt leichter bei Menschen, die unsere Erfahrungswelt teilten, die Stadt, den Landstrich oder das Land. Menschen wie Du und ich. Auch darum sind die Tränen von Königin Maxima jüngst bei der Rückführung der niederländischen Opfer ein echtes, vorgestelltes Mitleiden.

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(RP)
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