Kolumne: Gott Und Die Welt Was uns Don Quijote noch heute lehrt

Wahrscheinlich sind die Knochen des vor knapp 400 Jahren gestorbenen Miguel de Cervantes gefunden worden. Sein Vermächtnis aber sind die Heldentaten eines alten, verrückten Ritters.

Fast hatte man den Eindruck, als seien die Gebeine der Heiligen Drei Könige ein zweites Mal gefunden worden. So laut war jetzt das Getöse um jene paar Knochen, die Archäologen unter der Madrider Klosterkirche gefunden und Miguel de Cervantes (1547-1616) zugeschrieben hatten. Endlich, der spanische Nationaldichter - dessen Todesdatum die Vereinten Nationen zum Welttag des Buches machten - ist in den Tiefen der Vergangenheit geortet worden.

Allerdings bleibt fraglich, wer außer der Tourismus-Branche diesen Fund verwerten kann. Sind die Knochen eine Cervantes-Black-Box, eine Art Lebensschreiber des Dichters, die uns noch mehr Abenteuerliches verraten, als wir ohnehin schon wissen? Etwa seine Teilnahme an der Schlacht von Lepanto, in der ihn zwei Kugeln in die Brust trafen und eine dritte seine linke Hand zerschmetterte; oder seine Verschleppung auf den Sklavenmarkt von Algier, seine späteren Betrügereien, die ihm Gefängnisstrafen bescherten. Langweilig ist das alles nicht gewesen. Und doch ist sein größtes Abenteuer ein dürrer Adeliger am Rande des Wahnsinns geworden: sein Don Quijote aus La Mancha, der Ritterromane so sehr liebte, bis dass er glaubte, selbst als Ritter in die Welt ausreiten zu müssen.

Eine ritterliche Welt ist aber schon zu Cervantes' Zeiten Schnee von gestern gewesen. Die Feinde, die ihn erwarten, sind Illusionen in Gestalt von Windmühlen. Warum also überhaupt so viel Aufhebens um die absurden Abenteuer einer mindestens so absurden Figur zu machen?

Don Quijote wird zum Helden durch Lektüre. Er ist der erste Leser, der in die Welt ausreitet, um sie gegen die Welt seiner Bücher herauszufordern. Völlig verrückt, das stimmt. Doch lächerlich wird nicht er, sondern die Welt, die glaubt, ihn verlachen zu müssen. Sein Wappen sei das Erbarmen und sein Feldzeichen die Schönheit, hat der russische Erzähler Wladimir Nabokow einmal über Don Quijote gesagt. Er stehe für alles, was edel und hilflos ist, rein und selbstlos. Bevor Cervantes den zweiten Teil seines Don Quijote schreiben konnte, erschien 1614 allerdings eine gefälschte Fortsetzung. Darüber ist Nabokow dann ärgerlich geworden, weil Cervantes zum Schluss seines epochalen Werks den echten Ritter nicht gegen den gefälschten einfach im Zweikampf antreten ließ. Aber wer hätte gewinnen sollen? Der Falsche natürlich, so Nabokow. Weil in unserer Zeit der Hochstapler stets das wahre Verdienst aus dem Sattel werfe.

Vielleicht ist das die bedenkenswerte Hinterlassenschaft des Cervantes in Zeiten tagtäglich neuer Fakes.

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(RP)
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