Kolumne: Gott Und Die Welt Warum der Grieche keinen Schlips mehr trägt

Die "griechischen Helden" Tsipras und Varoufakis meiden aus Prinzip die Krawatte. Dahinter stecken viele Botschaften - wahrscheinlich auch finanzielle.

Das Teuerste am Essen ist immer der Schlips, lautet ein Bonmot aus dem Reich kulinarischer Schicksalsschläge. Wenn aber alle wissen, was damit gemeint ist (und darauf beruht die Wirkung von Witzen), wenn also das Beschlabbern der Krawatte kein Einzelfall bleibt, dann müsste sich doch irgendwann die grundsätzliche Frage nach der Zweckmäßigkeit dieses Bekleidungs-Accessoires stellen.

Dass uns nur modischer Chic zur kunstvollen Verknotung an- und umtreibt, ist eine zwar dürftige, wahrscheinlich aber die zentrale Erklärung. Denn wer erinnert sich morgens beim Griff zum Schlips schon an die Urheber, also an jene kroatischen Söldner, die im 17. Jahrhundert am französischen Hof mit ihrem weißen Halstuch, der sogenannten Hrvatska, mächtig Eindruck machten. Das ist etwas für Wikipedia-Leser.

Natürlich ist die Krawatte auch ein männliches Symbol; manche schreiben ihr phallische Verweiskraft zu. Doch das ist tiefenpsychologisch nicht ganz klar. Dass allerdings im Schlips Mann und Macht vereint zu sein scheinen, werden demnächst wieder einmal jene aufgekratzten Damen bezeugen, die an Altweiber unsere Rathäuser stürmen und dabei abgeschnittene Schlipse wie Skalps mit sich führen.

Allerdings gibt es auch Fälle der Selbst-Entschlipsung. Weil die Krawatte das Solide und als Dresscode eine Botschaft vorgibt - vor allem in den Biotopen von Politik, Wirtschaft und Goldhochzeit -, ist jeder Bruch mit solchen gesellschaftlichen Verhaltensübungen ein Fanal. Das ist auffallend oft bei Jung-Dynamikern der Fall (also in Wirtschaft und Politik, weniger bei der Goldhochzeit). Es gab mal eine Zeit, da konnte es US-Präsident Barack Obama nicht schnell genug gehen, Jackett und Krawatte abzulegen und die Ärmel seines Hemdes hochzukrempeln. "Yes, we can" schien in solchen Augenblicken auch eine textile Botschaft zu sein. "Yes, we can't" scheinen dagegen die "griechischen Helden" Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis mit ihrem legeren Äußeren sichtbar machen zu wollen. Beide ohne Schlips - bei jeder Gelegenheit und vor jedem Mächtigen.

Ihre Botschaft ist simpel: Wir kleiden uns anders, wir sind anders, wir handeln anders. Das kann mitunter erfrischend sein und hat in Europa in den vergangenen Tagen auch für reichlich Vitalität gesorgt. Andererseits könnten Tsipras und Varoufakis mit ihrem Schlips-Verzicht auch eine Finanzbotschaft transportieren - gemäß der Legende, dass das Teuerste am Essen stets der Schlips sei.

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(RP)
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