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Kolumne: Gott und die Welt Von unserer tiefgründigen Lust am Bergsteigen

Früher war Bergsteigen eine unerhörte Tat, die einen Epochenwandel markierte. Heute ist es eine Freizeitbeschäftigung. Auch, weil sich vom Berg unser Blick auf die Welt wandelt.

Weltanschauungsfragen sind aus der Mode gekommen, seitdem die meisten Menschen erkannt haben, dass es sich deutlich einfacher, unverbindlicher und bisweilen auch lukrativer leben lässt, wenn man sich den Dingen des notwendigen Tagesvollzugs annimmt. Das bekommen dann Parteien, Gewerkschaften und Kirchen zu spüren. Nur Schalke nicht, obgleich das Gekicke im Gelsenkirchener Stadtteil seit Mitte des 20. Jahrhunderts auch in den kulturgeschichtlichen Rang einer Weltanschauung aufgestiegen ist. Der pragmatische Trend geht hingegen zu den Bayern. Die werden halt meistens Meister, und so darf man sich als Anhänger der freistaatlichen Sportler wenigstens einmal im Jahr auf der Seite der Gewinner wähnen.

Weltanschauungen haben sich auf das Spielfeld unserer Freizeit verlagert, und manchmal sogar unbewusst. Wie beim Bergsteigen oder im Maisfeld-Labyrinth. Philosophisch gesehen sind dies prägnante Orte existenzieller Erfahrung. Das mag überzogener klingen als es ist. So sollte man sich ruhig einmal fragen, warum wir überhaupt die Mühsal und die Gefahr des Berg-Erklimmens auf uns nehmen.

Bevor es Sport wurde, markierte dieser Weg nach oben eine Epochenschwelle. Francesco Petrarca war es, der am 26. April 1336 den Mount Ventoux bestieg und dieses Erlebnis in einem Brief festhielt. Hatten die Menschen der Antike und des Mittelalters einen solchen Weg noch gescheut, wird die Renaissance übermütig. Der Blick des Menschen war bis dahin jener von unten nach oben; mit Petrarca aber erhebt sich der Mensch und schaut Gott-gleich von oben nach unten. Das ist eine Selbstermächtigung, von der später die Moderne beseelt sein wird. Von oben wird alles sehr übersichtlich, es wirkt geordnet, scheint durchschaubar zu sein. Mit Petrarca wird die Weltanschauung im wahren Sinne des Wortes bedeutsam.

Unser Bild hoch oben vom Berg wird zum Weltbild. Von oben begreifen wir alles, von oben sind wir voll und ganz im Bilde. So wundert es kaum, dass Petrarca nicht nur Poet, sondern auch Kartograph war, der eine der frühesten Karten von Italien anfertigte. Die Karte legt uns die Welt vor die Füße; sie kennt keine Geheimnisse mehr. Vielleicht sind deshalb die Maisfeld-Labyrinthe so sehr Mode geworden - als Gegenteil der Bergbesteigerei. Wir bleiben nicht nur am Boden. Wir spielen sogar ein wenig Verirren. Im Labyrinth hilft keine Karte; alles ist dort Geheimnis. Doch ein hoffnungsloses Irren bleibt ausgeschlossen. Denn wer auf dem Acker partout nicht weiter weiß, muss nur ein wenig warten - bis zur nächsten Erntezeit.

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(RP)
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