Gott Und Die Welt Von der Verflüchtigung unserer Liebesbotschaften

Endlich, endlich: Der Mai ist da – und mit ihm ein gutes Gefühl. Doch stimmt das überhaupt? Was in der Kulturgeschichte der Liebesbotschaften bisher geschah.

Schon vom Frühstückstisch aus war zu erkennen, was es mit dem Wonnemonat Mai auf sich haben könnte. Ich sage nur: Tauben im benachbarten Baum! So weit, so eindeutig, ein Stück weit auch anzüglich. Doch stimmt das mit dem Wonnemonat überhaupt? Aber sicher, sagt der alte Germane in mir und verweist auf das schöne Wort "winjo" – unter anderem für lieben. Iwo, ruft der ebenso alte Gote dazwischen und verweist auf "winja" für Weide und somit auf jene Jahreszeit, in der das Vieh wieder aus den Ställen gelassen wurde.

Da haben wir mal wieder den Schlamassel und die Frage, warum zwischenmenschlich immer alles so kompliziert sein muss. Der Neandertaler dürfte der Angebetenen einfach ordentlich eins über die langhaarige Rübe gegeben und sie dann in seine Höhle gezogen haben. Wobei eine Form der Anbetung als Motiv zu diesem gewaltigen Tatendrang wohl ausgeschlossen werden kann. Vielleicht gab es bei dieser ruppigen Form der Paarfindung auch allzu viele finale Verluste zu beklagen, jedenfalls sind die Mittel der Betörung mit der Zeit feinsinniger geworden. Irgendwann wurden die Liebesbotschaften in Stein gemeißelt (mit dem Handicap, dass doofe Schreibfehler nicht mehr aus der Welt zu schaffen waren), in feuchten Ton geritzt, auf Pergament gekratzt und zur Laute vorgetragen. Das alles war sehr anstrengend – bis Gutenberg kam und seine Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern nicht nur biblischer Botschaften diente. Von da an gab es in der Kulturgeschichte der schriftlichen Liebesbekundungen kein Halten mehr; die Romantiker drehten dann ja auch völlig am Rad.

Jetzt stehen wir wieder einmal vor einer neuen Herausforderung. Denn im digitalen Zeitalter greift das Phänomen der Verflüchtigung um sich. Eine Liebesbotschaft per SMS kann schön, hilfreich und umwerfend sein, doch wer sie wieder lesen möchte, wird sich beeilen müssen, bevor sie automatisch gelöscht wird. Dem könnte man vorbeugen und die holde Nachricht an seine eigene Rufnummer erneut verschicken – allerdings trägt sie dann den eigenen Absender. An der Botschaft ändert sich zwar nichts,aber es bleibt der fade Geschmack eines eigenartigen, dem Autismus nicht fernen Selbstgesprächs zurück.

So bedachte ich also dies und das, und zu dieser frühen Stunde natürlich noch allein am Frühstückstisch. Vielleicht waren diese trüben Gedanken ausgerechnet im Wonnemonat ja genau dieser Situation geschuldet. Doch durch die Küchenfenster bricht niederrheinisch heiteres Tageslicht. Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen, und lächelt fort die digitalen Sorgen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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