Gott Und Die Welt Unglaublich – Westerwelle regiert unser Land

In Zeiten, in denen alle Politiker am Koalitionsverhandlungstisch sitzen, scheint es nur noch einen zu geben, der die Geschicke unseres Landes in seinen Händen hält: Es ist Guido Westerwelle.

Gibt es wirklich nichts zu regieren? Wer die immensen Tischlandschaften betrachtet, an denen derzeit angeblich ein Koalitionsvertrag ausklamüsert wird, fragt sich dreierlei. Erstens: Wer kommt wann und warum und überhaupt zu Wort? Zweitens: Wo sind die kleinen Tischfähnchen? Drittens: Ist das — wie kolportiert wird — der Couchtisch von Tebartz-van Elst? Und noch eine vierte Frage (die das schöne Wort "dreierlei" unmöglich gemacht hätte): Warum ist die Welt so kompliziert? Betrachten wir das Bild von der Konferenz zu Jalta im Februar 1945: Drei Herren sitzen auf Sesseln, umstanden von ein paar Adjutanten. Beschlossen wurde damals die Machtaufteilung Europas, was auch keine Kleinigkeit war und zudem Folgen hatte; denken wir nur an das blamable Tor des gebürtigen Halberstädters Jürgen Sparwasser. Auch jetzt geht es um die Zukunft unserer Heimat, die offenbar von der Einführung einer Pkw-Maut und der Begrenzung von Dispo-Zinsen abhängig ist. Aber wer regiert uns in diesen Zeiten, in denen Arbeitsgruppen den Ton angeben und deren Protokolle zu Wegmarken der Demokratie werden? Es kann nur einen geben, einen, der frei von aller Koalitionslast ist: Guido Westerwelle. Anfangs dachten wir noch an Geisterstimmen, als nach dem liberalen Wahldebakel Westerwelle hier und da noch zitiert wurde. Doch dann begannen sich seine Statements aus aller Welt und über alle Welt zu mehren: Auftritt vor den Vereinten Nationen in New York, Iran-Gespräche in Genf, der Besuch in Indien, wo er auch noch Ratschläge zum Umgang mit Kunstraub in die ferne Heimat sandte. Unglaublich: richtige Politik und kein Gezänk irgendwelcher Möchtegern-Koalitionäre. Und in inspirierten Momenten sahen wir Westerwelle die Früchte seiner Arbeit ernten: wie er den Syrien-Konflikt löst, die NSA final in die Schranken weist und den Niederländern Hoffnung auf den ersten Fußball-WM-Titel macht. Zugegeben, das klingt verrückt. Doch bei dem tristen Novemberwetter und einem TV-Programm, das jede Gebührenzahlung wie eine Spende erscheinen lässt, muss die Fantasie herhalten. Die entscheidende Frage aber ist: Wie weit reicht Westerwelles Befugnis? Kinkerlitzchen dürfte er autonom handhaben wie den Druck von 1500 neuen Außenminister-Visitenkarten. Aber wie ist es mit dem Versand neuer und fein gerahmter Westerwelle-Porträts an deutsche Botschaften? Schwierig, aber machbar. Denn sollte es dafür bald keinen Bedarf mehr geben, könnten diese in die Heimat zurückgeschickt werden und als Wandschmuck in Hotel-Lobbys dienen.

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(RP)
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