Kolumne: Gott Und Die Welt Totengedenken ist unsere Brücke ins Jenseits

An Allerheiligen und Allerseelen erinnern wir uns der Verstorbenen und unserer Lieben. Vor allem aber: der vielen Versuche, gerecht und würdig gelebt zu haben.

Es hat sich sprachlich leider eingebürgert, dass immer mehr Menschen dies oder jenes einfach erinnern. Dass es "sich erinnern" heißen muss, klingt jetzt ein wenig erbsenzählerisch, was es nicht ist, weil die korrekte Form das Wesen jeder Erinnerung beschreibt: sich erinnern ist ein sogenanntes reflexives Verb, es ist also rückbezüglich und bezieht den Erinnernden in seine Rückschau ein. Ist diese Verbindung nicht wunderbar? Dass der, der sich erinnert, nicht unbeeinflusst bleibt von seinen Blicken in die Vergangenheit? Dadurch kann das, was einst gewesen ist, wieder ein Teil unserer Gegenwart werden. Mit den Erinnerungen ist nichts wirklich vergangen.

Aber ist das auch so an den beiden bevorstehenden und scheinbar so trüben Gedenktagen Allerheiligen und Allerseelen? Mit unseren Besuchen auf den Friedhöfen und unserem Innehalten vor den liebevoll gepflegten Gräbern? Theologisch haben beide Erinnerungstage einen tieferen Erkenntnisgrund. Es geht bei beiden Tagen um einen Brückenschlag ins Totenreich, um die volle Gemeinschaft mit Gott, die die Heiligen schon erreicht haben. Das ist ziemlich abstrakt und schwer vorstellbar, wie auch der Modus des Heiligseins selbst. Ihre bildlichen Darstellungen in Kirchen und auf Gemälden sind ja oft verklärend, und der Heiligenschein das Requisit einer eher simplen Bildersprache. Die, die uns von dort anschauen, sind dann viel zu oft das, was sie eigentlich nicht sein dürfen: unnahbar. Die Botschaft lautet dann, dass Heilige im Grunde nicht von dieser Welt sind.

Dabei sollten die Heiligen doch unter uns und ein gutes Beispiel sein für ein sinnvoll gelebtes Leben. Zu Vorbildern aber dürfen dann auch alle anderen Verstorbenen werden, für ihre Bemühungen, gerecht gelebt, ihrem Dasein Bedeutung und ebenso Würde gegeben zu haben. Das gelingt manchmal, nicht immer.

Vielleicht ist das ja eine Binsenweisheit, aber dennoch eine, an die wir erinnert werden sollten: dass kein Leben geradlinig verläuft und immer nur auf der Überholspur ist. Kein Leben ist ohne Ecken und Kanten und ohne Irrwege; und kein Glaube immer ungetrübt. Auch viele Heilige waren mitunter große Zauderer. Im Innehalten und im Umkehren liegt oft eine größere Kraft und eine tiefere Erkenntnis als im unbeirrt forschen Vorwärtskommen. Auch daran kann man sich - umgeben von all den Gräbern - erinnern; an die vielen unverzagten Versuche, das Leben glücken zu lassen. All diese gelebten Geschichten sind Teil unserer eigenen Geschichte. Es liegt ein tiefer Grund in der Bereitschaft, sich zu erinnern: die Grammatik unseres Lebens zu verstehen.

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