Gott Und Die Welt Rotkäppchen und der Brötchenholer

Am einem Samstagmorgen stehen in deutschen Backstube nur Männer – mürrisch die meisten. Wie schön, dass da mitunter auch andere Kulturkreise mitmischen.

Am einem Samstagmorgen stehen in deutschen Backstube nur Männer — mürrisch die meisten. Wie schön, dass da mitunter auch andere Kulturkreise mitmischen.

Vor dem Frühstückstisch ist — anders als bei Herberger — immer nur vor dem Frühstückstisch. Das heißt, es gibt ausschließlich die Vorbereitung. Und das wiederum heißt banal, letztlich aber folgenreich: Vor dem Frühstück steht der Brötchenkauf. Am Samstag ist die kleine Backstube darum rappelvoll, alles vertraute Gesichter, mürrische und ganz mürrische, das übliche Bild eben zum Wochenendauftakt gegen 8.44 Uhr. Man kennt einander, man kennt die Bestellung des anderen und versucht darum auch, mit seinen eigenen Wünschen vor jenen des pensionierten Stadtdirektors an der Reihe zu sein, der nämlich immer von jeder denkbaren Brotsorte zwei Scheiben zu kaufen pflegt und sich dann zielsicher für jene Börtchensorte entscheidet, die noch im hintersten Winkel der Backstube verwahrt wird.

Alle deutschen Männer sind Brötchenholer, soll einmal ein türkischer Mitbewohner aus unserem Dorf gesagt haben. Seither rätseln wir, ob das nun nett gemeint ist oder vielleicht abfällig, ob wir derart bezeichnet gut oder blöd, heroisch oder unmännlich dastehen. Die Meinungen sind geteilt. Die Mehrheit aber tendiert zur wohlwollenden Variante, zu einer Geste der Anerkennung über Kulturkreise hinweg. Zumal wir ohnehin jeden Samstag beim Bäcker auftauchen (müssen) und es schon aus der gegebenen Situation heraus psychohygienisch günstiger ist, uns mit dieser kleinen Besorgung möglichst gut aussehen zu lassen. Warum also kein Brötchenholer sein? Damit kann man leben.

Nun begab es sich eines Samstags — als wir wieder in trauter Runde vor der Theke der Backstube ausharrten —, dass der uralte Heinz von der Chefin nach seiner Bestellung gefragt wurde. Ihn aber bediente bereits die junge türkische Mitarbeiterin, die seit einigen Tagen mit neuer und opulenter Haarfarbe in der Backstube reüssierte. Und was sagt Heinz so keck? "Ich werde schon vom Rotkäppchen bedient."

Durfte man darüber jetzt lachen? Sollte man der jungen Frau mit Migrationshintergrund (so sagt man doch, oder?) nicht tapfer zur Seite springen? Wie mögen ihre Kenntnisse des Deutschen und erst recht der Grimmschen Märchenwelt sein? Waren die Grimms im Islam überhaupt irgendwie zugelassen — mit all den Alkoholexzessen in der feucht-fröhlichen Märchenwelt? Und Rapunzel gehört auch nicht gerade zu denen, die ihre Haarpracht züchtig unters Kopftuch stecken. Da aber drehte sich die junge Frau schon um, tütete mit Bedacht die letzte Sauerteigsemmel ein und entgegnete freundlich dem Brötchenholer: Manchmal steckt im Rotkäppchen aber auch der böse Wolf.

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(RP/gre)
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